OGA vom13. März 2024 BRANDENBURG
Boba, Noor, Bahir und Said – Gedanken zum Rechtsruck
Migration
Viele Zuwanderer haben sich in Brandenburg über Jahre etwas aufgebaut. Die AfD-Debatte um sogenannte Remigration sorgt dafür, dass sie ihre Zukunft überdenken. Andere zeigen sich entschlossen.
Von Nancy Waldmann
Die Welle von Empörung, Protest und Großdemonstrationen gegen die im Januar bekannt gewordenen „Remigrationspläne“ von Rechtsextremen und Konservativen ist allmählich abgeebbt. Doch bei meinen Bekannten, die direkt davon betroffen wären – nicht-weiße Menschen, aus anderen Ländern Zugezogene, Geflüchtete, Leute, die binationale Familien gründeten – wirkt die Nachricht anders nach: Kaum jemand, der sich in den letzten Wochen nicht Gedanken über die eigene Sicherheit und Zukunft in Deutschland gemacht hat.
Worüber in Potsdam phantasiert wurde, hat sie meistens nicht überrascht. Aber doch den Glauben erschüttert – an ihre Wahlheimat, ihren Zufluchtsort, an alles, was sie sich hier aufgebaut haben. Sie fragen sich: Was sollte ich tun? In welches Land könnte ich gehen, wenn es schlimmer wird? In Brandenburg – und nicht nur hier – empfinden es viele als Risiko, öffentlich über die eigene rassistische Bedrohung zu sprechen. Viele Namen sind deswegen geändert.
Gespräche am Gartenzaun zeigen: Nachbarn sympathisieren mit der AfD.
Eine Freundin in Thüringen macht sich Sorgen, wie lange ihr afghanischer Partner und ihr gemeinsamer sechsjähriger Sohn noch sicher sind, wenn die Stimmung auf der Straße noch feindseliger wird. „Man sollte nicht erst gehen, wenn auch alle anderen auf der Flucht sind“, sagt sie. Im Internet hat sie geschaut, ob sie und ihr Mann in Großbritannien in ihren Berufen arbeiten könnten. „Da gibt es viele wie uns“, sagt sie. Aber mit einer vernünftigen Arbeit würde es schwer.
Eine polnische Kollegin, die seit vielen Jahren in Berlin lebt, überlegt, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft nun beantragen soll – oder besser nicht. 2023 noch wollte sie das unter anderem deswegen tun, weil in ihrem Heimatland die rechtspopulistische PiS-Regierung fest im Sattel saß und immer mal mit einem „Polexit“ spielte.
Nun fragt sie sich, ob sie sich vor einer eventuellen „Remigrationsoffensive” in Deutschland mit einem deutschen Pass absichern kann. Oder ob sie dann lieber gleich nach Polen zurückgeht, wie es viele in ihrem Umfeld jetzt in Erwägung ziehen. „Sogar meinem deutschen Mann hat es einen Ruck gegeben. Er hält nicht mehr für ausgeschlossen, dass man eventuell irgendwann gehen muss“, sagt sie.
Weggehen ist keine Option
Eine will sich übers Weggehen oder einen Plan B keine Gedanken machen: Boba Preuß Bojčić. Sie besteht drauf, dass ihr voller Name genannt wird. „Ich lass mich doch nicht in irgendeine Schublade stecken und einschüchtern“, sagt sie. Boba, Anfang 40, Mutter von zwei Kindern und Unternehmerin mit einem guten Dutzend Angestellten in Frankfurt (Oder), erlebte als Kind den Krieg in Jugoslawien und verließ mit 18 ihre Heimat.
Nach den Correctiv-Enthüllungen wollte sie, dass es eine Demo in ihrer Stadt gibt und trieb die Organisation mit voran. Sie achtet sehr darauf, mit wem in der Stadt sie sich abgibt. „Ich bin Serbin und komme aus Kroatien, ich bin es gewohnt, als der Arsch zu gelten, wenn man in der Minderheit ist“, sagt sie. Notfalls würde sie nach Serbien gehen. Zur Demonstration gegen rechts in Frankfurt kamen auch einige nicht-weiße Migranten. Aber es waren viel weniger, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht.
Nach Brandenburg kamen die meisten Menschen mit Migrationsbiografie erst in den zurückliegenden zehn Jahren. Davor lebten hier gerade mal einige zehntausend Personen ohne deutschen Pass. Mit der Flüchtlingsbewegung 2015/16 und dem Wachstum Berlins hat die Mark erst begonnen, internationaler und zu einem Ort für Zuzügler zu werden. Im deutschlandweiten Vergleich ist Brandenburg immer noch das Land der „Kartoffeln“ (eine humorvolle Bezeichnung für einheimische Deutsche). Kaum halb so viele Ausländer wie im Bundesdurchschnitt leben hier: 196.000 – sieben Prozent. Die, die sich hier ihr Leben aufbauten, das Rechtsextreme nun in Frage stellen, gehören einer Generation von Pionieren an, deren Zukunft gerade in Frage gestellt wurde.
Noor studierte Internationale Menschenrechte und Humanitäres Völkerrecht an der Viadrina, arbeitete und engagiert sich in Frankfurt (Oder). Inzwischen lebt sie mit ihrer Familie in einer ostbrandenburgischen Kleinstadt, im eigenen Haus. Der Kontakt zu den Nachbarn ist gut. Wobei sie festgestellt hat, dass nicht wenige mit der AfD sympathisieren, die in der Gegend häufig Veranstaltungen organisiert.
Viele im Ort hätten Angst vor Ausländern. Es bräuchte Möglichkeiten, darüber zu reden, glaubt Noor. Schon manches Mal war sie schockiert, wenn sie auf Social-Media-Plattformen Äußerungen von Menschen entdeckte, die sie zuvor in echt kennengelernt hatte. „Zur mir sind die Leute lieb und nett, für sie bin ich die ‚gute Migrantin‘, die Ausnahme“, sagt Noor. Bestimmte Themen meide sie aber in Gesprächen mit Nachbarn, zum Beispiel ihre Arbeit mit Geflüchteten – einfach, um sich nicht zu oft zu ärgern, erklärt sie.
Denn ärgerliche Situationen erlebt sie auch so. Zuletzt beim Arzt. Sie berichtet, wie eine Arzthelferin ihr Dinge mit Händen und Füßen erklärt habe und sich wunderte, dass sie von links nach rechts schreiben könne. Dabei spricht Noor fließend und verständlich Deutsch.
Die „Remigrationspläne“? Noor kann Rechtsnormen aufzählen, gegen die sie verstoßen. Doch dann kommmentiert sie trocken: „In einen ‚Musterstaat‘ nach Nordafrika wollen sie uns bringen? Na, da ist es wenigstens warm!“
Was Noor trifft, ist, dass ihr die Frage ‚Woher kommst du?‘ immer wieder gestellt wird, und dass ihre Antwort darauf: ‚aus Frankfurt‘ mit Blick auf ihre Haut- oder Augenfarbe nicht akzeptiert werde. Dann hakten die Menschen nach, woher sie „wirklich“ komme. Das ist nicht so leicht zu beantworten, denn Noors Familie zog um die halbe Welt. „Die Frage kann ehrlich gemeint sein. Sie unterstreicht aber immer aufs Neue, dass man nicht dazu gehört“, stellt sie fest.
Trotzdem, Noor ist überzeugt, dass Gespräche – „viele und regelmäßige“ – der Weg sind, den man gehen muss, um Vorurteile zu überwinden und Ängste zu verstehen. „Ich glaube an das Gute im Menschen und an die Kraft der Vielfalt. Und das glauben viele. Aber Demos sind nur ein Anfang“, sagt Noor.
Bahir und Said kennen das. Dazugehören in Brandenburg – auf dieses Ziel haben sie beide mit aller Kraft hingearbeitet – jeder mit seiner eigenen Strategie. Die Staatsbürgerschaft, für die jeder dachte, mehr als alles Erforderliche getan zu haben, wird für sie aber einfach nicht greifbar.
Die beiden Männer um die 30 kennen sich nicht, obgleich beide als Geflüchtete aus Afghanistan 2015 bzw. 2016 kamen und in Frankfurt (Oder) landeten. Bahir suchte sich deutsche Freunde, mied andere Afghanen und entwickelte sich rasch zum Musterschüler: Ausbildung als einziger Ausländer in der Berufsschulklasse, Abitur, Arbeit und berufsbegleitendes Studium, eigenes Auto. Theater spielte er, jetzt unterrichtet er im Nebenjob Polen in Deutsch.
Said wiederum engagierte sich lange am interkulturellen Treffpunkt, wurde zum Brückenbauer zwischen migrantischer und einheimischer Community in der Stadt. Er war in der Kommunalpolitik aktiv, erfuhr dort auch Gegenwind von der AfD. Bis heute kommen viele Landsleute auf ihn zu und fragen um Rat. Mit der Ausbildung lief es nicht, wie Said sich wünschte, Ablehnung spürte er dort. Aber eine Lehre hat er nun in der Tasche, den Führerschein auch und er verdient sein eigenes Geld. Vor einiger Zeit ist er nach Berlin gezogen.
Nach Berlin wollte unbedingt auch Bahir, doch fand er keine Wohnung. So blieb er in Brandenburg, arbeitete sogar in einer Führungsposition. Seine Arbeitskollegen kommen aus verschiedenen Ländern, erzählt Bahir, wobei die Einheimischen eine Art Wand gegenüber den Migranten errichten würden. ‚Wir Deutschen und ihr Ausländer‘ – so redeten sie, so verhielten sie sich. Von Zuwanderern fühlten sie sich bedroht und schauten auf sie von oben herab. „Die Atmosphäre ist beschissen“, sagt Bahir. Das ist ein Grund, warum er den Job nicht mehr machen will.
Als die „Remigrationspläne“ der Rechtsextremen bekannt wurden, verlor niemand von Bahirs Arbeitskollegen darüber ein Wort. Dann ploppte das Thema doch auf: Als sich ein Unternehmen aus der Stadt gegen Rassismus positionierte, hätten sich die beiden einheimischen Arbeitskollegen davon bedroht gefühlt, erzählt Bahir.
Die Frage, die ihn ebenso wie Said fast zerfrisst, ist älter als das Rechtsextremistentreffen. Es hat sie nur existentieller gemacht: Die Einbürgerung – die ultimative Anerkennung ihres Wegs in die deutsche Gesellschaft. Bahir hat sie vor Jahren beantragt. Was er noch tun müsse, um die Zweifel der Behörden auszuräumen, darüber werde er stets im Unklaren gelassen, klagt er. „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an dieses Thema denke. Jeden Tag gucke ich in diesen scheiß Briefkasten, in der Hoffnung, dass die Behörde mir endlich eine Antwort schickt! Ich muss das endlich abschließen.“
Angst, gehen zu müssen
Said musste vor einiger Zeit erfahren, dass sein eigentlich vorteilhafter Status ihm die Einbürgerung verwehrt. Eine bittere Erkenntnis für ihn, die seine Vorstellung von der eigenen Zukunft durchkreuzte. Verzweifelt sucht er nach einem Ausweg, der sich nicht auftun will. Ursprünglich verband Said die Staatsbürgerschaft mit der Möglichkeit, in die Politik zu gehen, für seine Partei bei einer Parlamentswahl zu kandidieren – endlich ein Bürger dieses Landes zu werden, statt nur Gast. Aber ohne Pass kann Said nicht einmal wählen.
Jetzt denkt er mehr an eine Bleibegarantie. Ohne deutschen Pass hat er Angst, dass er einer der ersten wäre, die gehen müssten. „Wenn die AfD noch mehr Einfluss nimmt auf die Politik, dann brauche ich den deutschen Pass als Sicherheit“, sagt Said.
Bahir, der auch überlegt, sich in einer Partei zu engagieren, sagt: „Wenn die AfD kommt und sagt ‚Ausländer raus‘, dann werde ich gleich die EU verlassen. Würde es in Kanada, USA oder Australien versuchen. Die können mich doch nicht abweisen“, sagt er. Wie sich die Situation dort entwickelt, ist allerdings unklar. Klar ist, dass Brandenburg die besten Leute verloren gehen, wenn die, die im letzten Jahrzehnt hier Fuß gefasst haben, sich gezwungen sehen, anderswo ein zweites Mal von null anzufangen.