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Der Wolf in Brandenburg – die einen wollen ihn schützen, die anderen erschießen – gibt es vielleicht noch einen anderen Weg?

OGA vom 16. Dezember 2023 BRANDENBURG

Dritter Anlauf gerät ins Stocken

Regelung

Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel ist zweimal mit einem neuen Jagdgesetz gescheitert. Jetzt blockiert der Wolf die Novelle. Ministerpräsident Woidke erwartet, dass das Raubtier ins Jagdrecht aufgenommen wird.

Von Ulrich Thiessen

In der Landespolitik von Brandenburg wirft die Wahl im September 2024 ihre Schatten voraus. Die Parteien nehmen die mitgliederstarken Interessengruppen in den Blick. Bei der brandenburgischen SPD gehören die Landnutzer und die Jäger traditionell dazu. Und denen soll eine seit langem erhobene Forderung erfüllt werden: die Aufnahme des Wolfes ins Jagdgesetz.

Das Gesetz versucht Umweltminister Axel Vogel (Grüne) bereits zum dritten Mal zu novellieren. Die ersten beiden Entwürfe sind krachend gescheitert, unter anderem daran, dass die Jägerschaft gezwungen werden sollte, mehr Rehe und Hirsche zu schießen, damit sich junge Laubbäume ohne Befraß überall im Land vermehren können. Außerdem sollte der Einfluss der Jagdpächter zurückgedrängt werden.

Wie mit dem geschossenen Wolf und der Trophäe umzugehen wäre, ist auch noch unklar.

Inzwischen liegt ein dritter Entwurf vor, der mit den Landnutzern, die im Forum Natur organisiert sind, schon besprochen wurde. Auch wenn deren Wünsche nicht alle eingearbeitet wurden und die Landnutzer immer noch protestieren, könnte das Papier eigentlich auf den Weg gebracht und an die Ministerien zur Mitzeichnung verteilt werden. Das ist aber noch nicht passiert, wie Axel Vogel gegenüber dieser Zeitung einräumte.

Der Grund dafür: Die Staatskanzlei erwartet, dass der Wolf wie bereits in Sachsen und Niedersachsen auch in Brandenburg ins Jagdrecht aufgenommen wird. „Das wird mit mir nicht passieren“, erklärt Vogel dazu. Schließlich ist das nicht Teil der 2019 geschlossenen Koalitionsvereinbarung. In letzter Konsequenz gäbe es dann eben kein neues Jagdgesetz und bei den nächsten Koalitionsverhandlungen, wer immer die im Herbst 2024 führt, müsste darüber neu verhandelt werden.

Spannend ist die Frage, was sich mit der Aufnahme des Wolfes ins Jagdgesetz ändern würde. Für das graue Raubtier erst einmal gar nichts. Er ist so oder so eine streng geschützte Tierart. Zumindest so lange, bis Deutschland gegenüber der EU den sogenannten guten Erhaltungszustand der Art erklärt und dann Maßnahmen zur Bestandsregulierung – sprich dem gezielten Abschuss – ergriffen werden könnten, wie es die meisten Bauern und Jäger fordern. Aber das ist derzeit noch nicht in Sicht. Henrik Wendorff, Präsident des Landesbauernverbandes, plädiert dafür, dass man aber jetzt schon mal die Voraussetzung schaffen sollte, damit die Jäger dann regulierend in die Bestände eingreifen können.

Für den Landesjagdverband hätte die Aufnahme ins Jagdgesetz den Vorteil, dass der Jäger dann pro Forma auch für diese Art zuständig wäre und entsprechende Mitspracherechte bekäme. Außerdem wäre es leichter und rechtlich sicherer, angefahrenen Wölfen den Gnadenschuss zu geben.Axel Vogel befürchtet dagegen, dass eine entsprechende Regelung alles komplizierter mache. Wenn ein Wolf, weil er Nutztiere gerissen hat, zum Abschuss freigegeben wird, hätte der zuständige Jäger, in dessen Revier sich der Vorfall ereignete, die Aufgabe, ihn zu schießen. Bislang kann das Landesumweltamt einen Jagdberechtigten mit der Aufgabe betrauen.

Ist der Wolf im Jagdrecht verankert und der zuständige Jäger weigert sich, würde jeder andere Jäger, der das Raubtier schießt, quasi Wilderei begehen. Laut Vogel könnte alles bürokratischer werden. Geklärt werden muss dann auch, wie mit dem geschossenen Wolf und der Trophäe umzugehen ist. Bei Tieren, die im Jagdrecht stehen, gehören diese dem Jäger, jetzt im Falle des Wolfes dem Landesumweltamt.

Jagdrecht hin oder her, der Abschuss von sogenannten Schadwölfen soll bundesweit erleichtert werden. Darauf haben sich die Umweltminister der Länder mit dem Bund Anfang Dezember geeinigt. Demnach sollen sogenannte Schnellabschüsse möglich sein, wenn ein Wolf „zumutbar geschützte“ Nutztiere gerissen hat. Und das schon beim ersten Mal.

Bislang galt in Brandenburg, dass Schutzzäune mehrfach überwunden werden mussten, bevor ein Abschuss angeordnet werden konnte. Außerdem musste genetisch festgestellt werden, dass es sich bei wiederholten Rissen um denselben Wolf handelte. Das entfällt künftig. Die Abschussgenehmigung soll unbürokratisch und kurzfristig erteilt werden und für einen Radius von 1000 Metern um die Weide für drei Wochen gelten.

Im Landtag stellte Axel Vogel klar, dass die neuen Regelungen nicht ohne Tücken sind. Dazu muss eine neue Wolfsverordnung erarbeitet werden. Zu klären ist dabei, wo die neue Regelung gelten soll. Im Papier der Umweltminister ist von klar definierten „Gebieten mit erhöhten Wolfsrissen“ die Rede. Laut Vogel ist so eine Definition in Bayern mit seinen zwei Rudeln und zwei Wolfspärchen einfach. In Brandenburg wurden 2022 genau 62 besetzte Wolfsreviere registriert. Darum stelle sich hier die Frage, ob nicht das ganze Land als ein solches Gebiet definiert werden muss.

Rinderherde als Kälber-Schutz

Auch der zumutbare Herdenschutz muss neu definiert werden. Bislang wird in Brandenburg unter Schutz ein elektrischer Zaun von 1,20 Metern Höhe oder ein 90 Zentimeter hoher Zaun beim Einsatz von Herdenschutzhunden verstanden. Das galt in der Regel für Schafs- oder Ziegenherden. Nun muss auch geregelt werden, wie mit Kälbern umgegangen werden soll. Laut Vogel sollen nicht ganze Landschaften „verdrahtet“ werden. Deshalb müssten entweder speziell geschützte Weiden für Mutterkühe und Kälber eingerichtet oder die Herde an sich ab einer bestimmten Größe als Schutz der Jungtiere definiert werden. Vogel kündigte an, mit den Landnutzern ausführliche Gespräche zu führen, bevor die Wolfsverordnung überarbeitet wird.

Eine perfekte Schule…?

OGA vom 16. Dezember 2023 POLITIK

Kompletter Neustart wäre falsch

Bildung

Ein Modell für die perfekte Schule wird es wohl niemals geben – zu groß sind die Unterschiede. Spannend ist die Frage nach optimalen Lernbedingungen dennoch.

Von Michael Gabel

Die Ergebnisse der Pisa-Studie waren ein Schock: Nach zwischenzeitlichen Erfolgen ist das deutsche Schulsystem auf einem noch tieferen Stand als im Jahr 2000, als der internationale Bildungsvergleich zum ersten Mal durchgeführt wurde. Dabei ist Bildung in Deutschland relativ teuer, und die Lehrkräfte verdienen mehr als in den meisten anderen Ländern. Vielleicht fehlt es auf dem Weg zur idealen Schule einfach an guten Ideen beziehungsweise an deren Umsetzung.

Erlanger Schule gewinnt den Deutschen Schulpreis – was ist an ihr so toll? Als die Eichendorffschule im fränkischen Erlangen im Oktober den Deutschen Schulpreis gewann, wurde erst einmal gefeiert. Mit dem Preisgeld von 100.000 Euro wolle man dringend benötigte Dinge anschaffen – wie zum Beispiel zwei 3D-Drucker, sagt Schulleiter Helmut Klemm dieser Zeitung. Das Besondere an der prämierten Schule sind die sogenannten Lernbüros: Jungen und Mädchen bekommen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch Lernmaterialien, mit denen sie sich auf jeweils ganz individuelle Weise beschäftigen können. Vorgegeben sind jeweils nur „Bausteine“, die nach und nach bearbeitet werden. Fühlt sich jemand fit genug, um ein Thema abzuschließen, macht er oder sie einen Probetest und bekommt beim Bestehen einen Leistungsnachweis.

Pädagoge Klemm will damit, wie er sagt, „den Kindern ihr Lernen wieder zurückgeben“. Bei der 2015 begonnenen Reform habe sich die Schule vorgenommen, dass Lehrkräfte weniger Stoffvermittler als Lernbegleiter beziehungsweise Coaches sein sollen: selbstbestimmtes Lernen mit von der Schule vorgegebenen, möglichst breit aufgestellten Leitplanken. Zum Unterrichtsprinzip gehören auch sogenannte Frei Days, an denen Beiträge zu selbstgewählten Themen erarbeitet werden. Im vergangenen Schuljahr lautete das Thema „Kein Hunger“ – nachgeforscht wurde unter anderem, wie in der schuleigenen Kantine mit Essensresten umgegangen wird.

Alles auf Anfang, um zur „idealen Schule“ zu gelangen? Das wäre der völlig falsche Ansatz, warnt der Hamburger SPD-Politiker Ties Rabe, der mit dem Stadtstaat im deutschlandweiten Bildungsvergleich einen großen Sprung nach vorn gemacht hat. Die Forderung nach einem kompletten Neustart des Schulwesens sei „die beste Methode, um den Karren an die Wand zu fahren“, sagt er. „Man kann ein System, das fünfmal so groß ist wie die Bundeswehr, 26 Millionen Schüler und Eltern betrifft und jeden Tag auf Hochtouren läuft, nicht mal eben komplett anhalten und neu sortieren.“ Der beste Weg für eine erfolgreiche Schulpolitik sei „Evolution statt Revolution“ – also „das Drehen an vielen Stellschrauben“.

Viele haben Angst vor Mathematik – wie lässt sich das ändern? Die jüngste Pisa-Auswertung hat gezeigt: Bei vielen der getesteten 15-Jährigen herrscht großer Frust über die aus ihrer Sicht trockene Art und Weise der Wissensvermittlung.

Der Erlanger Pädagoge Klemm sagt von sich selbst, ihm sei das früher ganz ähnlich gegangen. In der von ihm geleiteten Schule wird deshalb ein anderer Ansatz verfolgt. Dort gibt es für Fünft- und Sechstklässler einen „Raum der Mathematik“. Als „handlungsorientiertes“ Unterrichtsmaterial dient dort zum Beispiel Schokolade in Form von Dreiecken, Quadraten und Würfeln. Außerdem setze man zusätzliche pädagogische Kräfte ein, die zum Teil aus der Schule zur Verfügung stehenden Mitteln bezahlt werden.

In welchem Alter sollte es mit dem Lernen losgehen? Hamburg hat seine Erfolge unter anderem damit erzielt, dass dort verpflichtende Sprachfähigkeitstests für Viereinhalbjährige eingeführt wurden – ganz gleich, ob diese Kinder eine Kita besuchen oder nicht. Ergeben sich dabei Hinweise auf einen Förderbedarf, wird den Eltern „dringend geraten“, ihr Kind in eine Art Vorschule zu schicken. Dazu gezwungen werden können die Eltern zwar nicht. Aber laut Hamburger Sprachförderkonzept werden „die Eltern darauf hingewiesen, dass ihr Kind vom Schulbesuch zurückgestellt werden kann“. Noch einen Schritt weiter will die Bundes-CDU gehen. Im Entwurf für ihr neues Grundsatzprogramm heißt es, Kinder mit festgestelltem Förderbedarf sollten „vor der Einschulung verpflichtend zur Kita oder in die Vorschule“.

Was kann Deutschland von Estland lernen? Das wohlhabende Deutschland im Mittelfeld, das weitaus ärmere Estland bei den europäischen Ländern auf Platz eins – ein blamables Ergebnis ist das für die hiesige Bildungspolitik. Im Wesentlichen sind es drei Dinge, die in Estland anders und damit offenbar besser gemacht werden als in Deutschland: Zum einen werden Schulkinder dort wesentlich stärker individuell gefördert. Zum anderen können Lehrkräfte den Unterricht stärker an die Bedürfnisse ihrer Klasse anpassen als in Deutschland, wo der Lehrplan eine weitaus größere Rolle spielt. Und drittens: In Estland gehen zwei Drittel aller Zweijährigen in eine Vorschule und lernen dort bei Bedarf wie selbstverständlich die estnische Sprache. Hört sich das nach einer Mischung aus dem Erlanger und dem Hamburger Modell an? Durchaus, aber was in Deutschland häufig auf Initiative Einzelner geschieht, ist in Estland staatliche Vorgabe.

Wie wichtig sind in der „idealen Schule“ besondere Angebote wie Astronomie oder Chinesisch? Mit dem Weltraum-Teleskop ins All schauen, nachmittags Chinesisch lernen – für manche Kinder und Eltern kommt das dem Traum von der perfekten Schule sehr nahe. Der Erlanger Schulleiter sagt über solche Angebote: „Warum nicht? Wenn die Möglichkeit dazu besteht.“ Aber alles werde man auch in einer idealen Schule nicht unterbringen. Er favorisiere Schulkonzepte, die mit einem gewissen Aufwand auch tatsächlich flächendeckend umzusetzen wären und wolle keine „Wolkenkuckucksheim-Traumschule auf einer Insel“.

PISA-Studie und die richtigen Schlüsse?

OGA vom 14. Dezember 2023 BRANDENBURG

Sieben Aufträge an Woidke

Pisa-Schock

Der Landeselternrat Brandenburg verschärft die Gangart gegenüber der Regierung. Ein Anlass sind die Studien-Ergebnisse.

Von Mathias Hausding

Der Ton ist freundlich, aber in der Sache nehmen die Eltern kein Blatt vor den Mund. Sie haben den Eindruck, dass in Brandenburg trotz desolater Lage in der Bildung ein „Weiter so“ vorherrscht, dass sich die Koalition auf einigen wenigen unzureichenden Maßnahmen ausruht.

Deshalb wendet sich der Landeselternrat (LER) jetzt mit einem offenen Brief direkt an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Er persönlich möge sich den schlechten Lernergebnissen, dem immer dramatischeren Lehrermangel und weiteren massiven Problemen an den Schulen widmen. „Wir bitten Sie eindringlich, das Thema Schulbildung in Brandenburg auf Ihren Tisch zu ziehen und jetzt zur Chefsache zu machen“, schreibt Ulrike Mauersberger, die Vorsitzende des Landeselternrats.

Einer der Kritikpunkte: Ein Psychologe für 8000 Schüler reicht nicht.

Die Eltern selbst hätten sich viele Gedanken gemacht, was zu tun ist. Sie kommen in dem Brief auf sieben Maßnahmen, die dringend in die Wege geleitet werden müssten.

1. Realistische Zahlen als Grundlage. Nötig sei eine ehrliche Bestandsaufnahme. Wie viele angehende Lehrkräfte brechen das Studium ab? Wie viele Pädagogen gehen wann in Pension? Darauf aufbauend müsse der Bedarf an Studienplätzen in Brandenburg ermittelt werden, und dann seien diese Plätze zwingend auch zur Verfügung zu stellen.

2. Absenken des Numerus Clausus für das Lehramtsstudium. Für Seiteneinsteiger gebe es diese Vorauslese schließlich auch nicht. Das Studium müsse dringend verkürzt und praxisnäher gestaltet werden, fordern die Eltern. Auch sollte es möglich sein, das Studium mit nur einem Fach zu beenden, um junge Lehrkräfte schneller an die Schulen zu bringen.

3. Halten junger Lehrkräfte in Brandenburg. Der LER regt Verbeamtung schon im Studium an sowie die Möglichkeit freiwilliger Mehrarbeit mit Vergütung oder dem Ansparen der erbrachten Stunden auf Langzeitkonten.

4. Vermitteln der Basiskompetenzen.Maßnahmen wie das „Leseband“ sollten an allen Grundschulen Pflicht sein, damit die Schüler überall die gleichen Chancen haben. 15 bis 20 Minuten an vier bis fünf Tagen pro Woche sollen Schülerinnen und Schüler demnach vor allem an Grundschulen konzentriert und gemeinsam lesen.

5. Schaffung von multiprofessionellen Teams. Um Lehrkräfte zu entlasten und Schülern Hilfen anbieten zu können, sollen Gesundheitsfachkräfte, Sozialarbeiter und Schulassistenzkräfte an jeder Schule Standard sein.

6. Mehr Schulpsychologen. Es werde noch immer zu wenig getan, um der gewachsenen Zahl von Schülern mit psychologischem Unterstützungsbedarf zu helfen. „Ein Psychologe für 8.000 Schüler stellt keine hinreichende Versorgung dar“, mahnt der LER.

7. Digitalisierung des Unterrichts. Landesweit müsse an den Schulen endlich leistungsfähiges Internet angeboten werden. Nötig sei auch die Ausstattung mit digitalen Endgeräten. Nur so könne man neue Wege gehen, etwa Hybridunterricht anbieten statt Unterrichtsausfall.

Die Elternvertreter bieten Dietmar Woidke bei der Umsetzung der Maßnahmen ihre Unterstützung an. „Der Landeselternrat ist sehr an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert, aber ohne Ihre Unterstützung und ohne, dass Sie diesem Vorhaben Priorität einräumen, wird das nicht funktionieren“, gibt die LER-Vorsitzende zu bedenken.

Es bestehe akuter Handlungsbedarf. „Ein inakzeptabel hoher Anteil unserer Schülerinnen und Schüler kann nicht richtig lesen, versteht Texte und Zusammenhänge nicht, rechnet schlecht und ist nicht in der Lage, das gelernte Wissen in den Alltag zu transferieren“, erklärt Ulrike Mauersberger mit Verweis auf die jüngsten Testergebnisse. „Hinzu kommen Berichte von Schuleltern in diesem Land, die von massiven Unterrichtsausfällen, von Unterrichtseinheiten von fachfremden Lehrkräften über lange Zeiträume, von übervollen Klassenräumen und steigender Gewalt in Schulen berichten.“


Anmerkung:

„Ein inakzeptabel hoher Anteil unserer Schülerinnen und Schüler kann nicht richtig lesen, versteht Texte und Zusammenhänge nicht, rechnet schlecht und ist nicht in der Lage, das gelernte Wissen in den Alltag zu transferieren“, erklärt Ulrike Mauersberger mit Verweis auf die jüngsten Testergebnisse.

Sind es denn immer die Schulen, die fehlenden Lehrer, die fehlenden Psychologen? Was ist eigentlich mit der Betrachtung der Elternhäuser der Kinder, vor allem der auffälligen?

Wie verbringen die SuS ihre Freizeit? Werden die kids und Jugendlichen seitens der Eltern unterstützt? Sind nicht die sozialen Medien, Facebook, Instagram, TikTok u.a. diejenigen, die den größten Einfluss haben? Wie wird die Rechtschreibung und der Ausdruck in Chatverläufen bewertet?

Die Politiker, die Verantwortlichen der Schulen, die Lehrer auch die Technikausstattung kann noch so toll sein, wenn die SuS ihre Lernmittel beschmutzen, beschädigen oder gar zerstören (Gegenstände von hinten in den Computer gesteckt), die Tasten aus den Tastaturen popeln, Essensreste in CD-Player stecken oder die digitalen Tafeln anspucken und beschmieren – daran sind die Bedigungen schuld, oder eher die Sozialisation aus dem Elternhaus?

Die AfD versucht es immer und überall die freiheitliche, demokratische Rechtordnung zu unterwandern

OGA vom 13. Dezember 2023 TITELSEITE

Joachim Radke fliegt aus Sitzung der Stadtverordneten

Eklat

Der AfD-Politiker musste die Zusammenkunft am Montag vorzeitig verlassen. Reagiert wurde damit auf Äußerungen des Vize-Fraktionschefs.

Von Stefan Zwahr

Mit zweifelhaften Äußerungen in der politischen Diskussion sorgte der AfD-Politiker Joachim Radke schon in der Vergangenheit für Schlagzeilen. Nun gab es Konsequenzen: Dirk Blettermann (SPD), Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung (SVV) von Oranienburg, warf den stellvertretenden Chef der AfD-Fraktion am Montagabend während der Sitzung aus der Orangerie.

Bei der letzten Sitzung des Stadtparlamentes in diesem Kalenderjahr handelte sich Radke zunächst eine Verwarnung ein – um knapp 45 Minuten später des Saales verwiesen zu werden.

Zunächst missfielen dem SVV-Vorsitzenden Aussagen, die Radke in seinem Redebeitrag zur von der AfD angestrebten Reduzierung des Grundsteuer-Hebesatzes getätigt hatte. Der Abgeordnete der Rechtspopulisten – der im Juni 2023 mit Aussagen im Hauptausschuss, von denen sich andere Abgeordnete bedroht fühlten, für Empörung gesorgt hatte – betonte dabei, dass es in Deutschland genug Steuern geben würde. „Wir hatten im vergangenen Jahr, glaube ich, das höchste Steuereinkommen seit Bestehen der Bundesrepublik.“ Das Problem sei nicht, „dass den Leuten nicht genug Geld aus der Tasche gezogen wird“, sondern, dass es unzweckmäßig eingesetzt werde „und teilweise in Kanäle wandert, die dem Bürger nicht mehr zugutekommen“.

Relativierende und verstellende Aussagen bitte ich ausdrücklich zu rügen.

Enrico Geißler (Linke) Stadtverordneter

Blettermann ließ das nicht unkommentiert. Es entspreche nicht der Wahrheit, dass Geld in Kanäle gepumpt werde, die für den Steuerzahler nicht nachvollziehbar seien. „Ich verwahre mich dagegen und bitte, die Wortwahl genau zu beachten.“ Der SPD-Politiker hatte vorher den Satz „Ich verwarne sie hiermit“ eingebaut. Die Fortsetzung folgte beim Tagesordnungspunkt „würdige Neugestaltung des Gedenkortes zum KZ Oranienburg“. Radke – dessen Landesverband vom Verfassungsschutz Brandenburg seit 2020 als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird – ließ verlauten: „Aus unserer Sicht ist es wirklich wichtig, an den totalitären linken Nationalsozialismus mit seinen Untaten zu erinnern.“ Aufgrund dieser historischen Bedeutung sei der Antrag nicht abzulehnen.

Enrico Geißler, der Die Linke als Kreisvorsitzender führt, war fassungslos. „Wenn hier irgendwas von linkem Nationalsozialismus geredet wird, ist das tatsächlich eine Relativierung des Nationalsozialismus. Ich weiß nicht, ob das Worte sind, die in diesem Hause angemessen sind im Umgang mit anderen Fraktionen oder anderen Positionen.“ Der Nationalsozialismus und die Massenvernichtung der europäischen Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft seien unvergleichlich. „Solche relativierenden und verstellenden Aussagen bitte ich ausdrücklich zu rügen. So geht es einfach nicht!“

Und wieder ist es Velten….

OGA vom 09. Dezember 2023 OBERHAVEL

Bürgermeisterin Ines Hübner beleidigt und bedroht

Extremismus

In einem Beitrag des als rechtsextrem eingestuften Magazins Compact wird Velten als Hort einer von Ausländern initiierten Kriminalität dargestellt.

Von Roland Becker

Dass Stadtverordnetenvorsteher Marcel Siegert (Pro Velten) und Bürgermeisterin Ines Hübner (SPD) eine gemeinsame Erklärung verfassen, ist ein fast einmaliger Vorgang. Genau das ist am Donnerstagabend  geschehen. Die Sitzung des Stadtparlaments von Velten begann außergewöhnlich.

Siegert kündigte einen ungewöhnlichen Schritt an, für den er die Öffentlichkeit ausschließen müsse. Als die Sitzung nach etwa 15 Minuten öffentlich fortgesetzt wurde, erfuhr diese Öffentlichkeit aber nicht, was inzwischen beraten und beschlossen wurde.

Wir verschließen in unserer Stadt nicht die Augen vor Gewalt.

Nach Informationen dieser Redaktion sollen Mitarbeiter des Magazins Compact zur Stadtverordnetenversammlung gekommen sein, um dort Aufzeichnungen – etwa per Video, Foto oder Ton – zu fertigen. Siegert hatte dies zuvor erfahren und sich mit der Bürgermeisterin vor der Sitzung über ein gemeinsames Vorgehen abgestimmt. Demnach beschlossen die Abgeordneten nichtöffentlich, dass an diesem Abend die Geschäftsordnung dahingehend ausgesetzt wird, dass keine Aufnahmen getätigt werden dürfen. Dem sollen alle anwesenden Stadtverordneten außer Robert Wolinski (Die Heimat/früher NPD) und den zwei AfD-Abgeordneten zugestimmt haben.

Zeitgleich mit dieser Unterbrechung erreichte die Medien besagte gemeinsame Erklärung. Darin heißt es: „Veltens Stadtverordnetenvorsteher Marcel Siegert und die Bürgermeisterin der Stadt, Ines Hübner, verwahren sich mit äußerstem Nachdruck gegen die jüngsten medialen Darstellungen unserer Stadt als Schwerpunkt der Jugendkriminalität. Hier wird gezielt eine Hetzkampagne initiiert, die sich gegen die Stadt Velten, in Persona gegen die Bürgermeisterin, richtet.“

Erwähnt wird, dass es bereits Gewaltandrohungen gegen die Bürgermeisterin gegeben habe. Nach Recherchen dieser Redaktion soll sie zahlreiche Anrufe bekommen haben, in denen sie beleidigt und bedroht wurde. Dabei sollen sinngemäß Sätze wie „Wenn Sie gesund bleiben und länger leben wollen, sollten Sie ruhiger auftreten“ gefallen sein.

Dass Compact auf Velten aufmerksam wurde oder gemacht worden ist, steht in Zusammenhang mit Anträgen der AfD. Diese nutzt seit Monaten tatsächliche und angebliche Gewalttaten, um im Stadtparlament Stimmung gegen Migranten zu schüren.

In dem Compact TV-Beitrag wird Velten als Hort einer von Ausländerbanden initiierten Kriminalität dargestellt. Siegert und Hübner schreiben dazu: „Der Beitrag über Velten in einem als rechtsextrem vom Verfassungsschutz eingestuften Propaganda-Medium arbeitet mit Täter-Vorverurteilungen, Mutmaßungen, Falschaussagen, Übertreibungen, Bedrohungen, mit aus dem Zusammenhang gerissenen städtischen Videobeiträgen ohne Quellenangaben.“

Es entstehe der Eindruck, Veltens Bahnhof sei ein Kriminalitätshotspot. Das entspreche nicht der Wahrheit. Dabei erwähnen beide in ihrem Schreiben durchaus, dass in 2023 bei der Polizei einzelne Anzeigen wegen räuberischem Diebstahl und Körperverletzung unter Jugendlichen gestellt wurden. Vereinzelt sei es darüber hinaus zu Auseinandersetzungen gekommen, die nicht angezeigt worden sein sollen.

Zu diesen Vorfällen hatte erst im November Hennigsdorfs Polizeichef Stefan Boye im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung detaillierte Angaben gemacht. Außerdem ging er auf die Kriminalitätsstatistik in Velten bis Oktober 2023 ein, die auf Grundlage der angezeigten Straftaten keine Häufung von Raub und Gewalt aufweist.

Siegert und Hübner verwahren sich dagegen, „aus diesen Vorfällen eine Gefährdung der inneren Sicherheit abzuleiten. Vielmehr gefährden die medialen Darstellungen unsere Stadtgemeinschaft und fördern – wie man sieht – die Gewaltbereitschaft.“

Selten hat sich Marcel Siegert so deutlich von aus rechter Gesinnung heraus Angst schürenden Kreisen abgegrenzt wie mit diesem Brief. Gemeinsam mit der Bürgermeisterin erklärt er: „Wir sind entsetzt und erschüttert, wie mit plumpen Propaganda-Methoden gegen Menschen gehetzt und der Ruf unserer Stadt nachhaltig geschädigt wird – und das von rechtsextremen Parteien zu Wahlkampfzwecken.“ Diese Kreise nutzten ausdrücklich die Ängste von Eltern, deren Nachwuchs Opfer einer Straftat wurden, um diese Ängste zu instrumentalisieren.

Für wie brandgefährlich für die Demokratie in Velten die beiden wichtigsten Politiker der Stadt die Compact-Beiträge halten, lässt dieses Statement erkennen: „Wir distanzieren uns ausdrücklich von menschenverachtenden, hasserfüllten und Angst schürenden Darstellungen, die den Boden unserer freiheitlichen Grundordnung verlassen.“

Persönlich fügt Siegert hinzu, dass „es völlig egal ist, woher der Mensch kommt, der einem anderen Leid antut“. Gewalt sei grundsätzlich und nicht nach Herkunft zu verurteilen. Für ihn sind „unser Bahnhof und unsere Stadt alles andere als ein Kriminalitätsschwerpunkt“.

Die Bürgermeisterin sichert zu, dass sie die Vorfälle und die daraus resultierenden Ängste der Eltern sehr ernst nimmt. Das Geschehen werde weiter gemeinsam mit Polizei und Jugendsozialarbeitern beobachtet. Man werde tätig, wenn Fakten vorliegen, nicht aber, wenn Gerüchte gestreut werden.

Beide schließen ihre Erklärung mit dem Statement: „Wir verschließen in unserer Stadt nicht die Augen vor Gewalt – egal, von wem sie begangen wird. Aber wir tolerieren auch keine Ausländerfeindlichkeit und Hetze.“

Laut Wikipedia werden in den Compact-Publikationen regelmäßig verschwörungstheoretische, geschichtsrevisionistische und antisemitische Inhalte verbreitet. Seit Dezember 2021 listet der Bundesverfassungsschutz das Magazin als gesichert rechtsextremistisch. Die Compact-Magazin GmbH trage Positionen und Aussagen in die Öffentlichkeit, die eindeutig als völkisch-nationalistisch sowie minderheitenfeindlich zu bewerten seien.

Neurobiologe Martin Korte über die Nutzung der Handys

OGA vom 07. Dezember 2023 POLITIK

„Wir machen uns ablenkbarer“

Martin Korte

Unsere Konzentrationsfähigkeit sinkt zunehmend, weil wir ständig vor Bildschirmen hängen, warnt der Neurobiologe und Sachbuchautor. Warum er von Verboten trotzdem nichts hält, welchen Ratschlag Eltern befolgen sollten und wieso Langeweile so wichtig ist.

Von Ellen Hasenkamp und Dominik Guggemos

Das riesige Bild hinter Martin Korte sieht auf den ersten Blick aus wie moderne Kunst. Es zeigt aber einen Querschnitt des Gehirns mit bunt eingefärbten Vernetzungen. Der Neurobiologe, das merkt man schon nach wenigen Sätzen, ist fasziniert von seinem Studienobjekt. Das Gehirn muss kontinuierlich Sinnesinformationen verarbeiten und zugleich Erinnerungen speichern. Korte forscht an der TU Braunschweig dazu, welche Mechanismen diese Lern- und Gedächtnisvorgänge ermöglichen – oder auch behindern. Eine besondere Rolle nehmen dabei heutzutage Smartphones als dauerhafter Begleiter der Menschen im Alltag ein. Dass beim Video-Gespräch zwischendurch die Tontechnik der Redakteure verrückt spielt, nimmt der Sachbuchautor gelassen. Bei ihm selbst läuft alles tipptopp.

Herr Korte, müssten auf Handys eigentlich Warnhinweise kleben – so wie auf Zigarettenschachteln?

Interessanterweise hat das Gerät auch dann eine ablenkende Wirkung, wenn es ausgeschaltet vor mir liegt.

Bevor ich zum Smartphone greife, durchatmen und prüfen, ob ich das jetzt wirklich möchte.

Hm … nein. Erstens haben die sich nicht als wirksam erwiesen und zweitens ist Handynutzung doch etwas anders als zu rauchen. Jeder Zug an der Zigarette ist schädlich, während es beim Smartphone davon abhängt, was man damit anfängt.

Trotzdem haben Sie grad kurz gezögert.

Stimmt. Es gäbe durchaus Gründe, zu warnen. Vor allem natürlich vor der mitunter tödlichen Ablenkung im Straßenverkehr. Außerdem können Smartphones schädlich für Sozialbeziehungen und für die Konzentration sein. Und zwar nicht wegen einer ominösen Strahlung, sondern weil es unserem Gehirn nicht guttut, in einen Multitasking-Modus zu fallen.

Gibt es auch gute Bildschirmzeit?

Natürlich. Unsere moderne Welt wäre ohne Computer und Handys undenkbar. Ein TikTok-Video, das die Demokratie der Bundesrepublik anschaulich erklärt, ist wunderbar – ein Film mit Hetzbotschaften nicht. Und: Wenn ich bei der Arbeit das Smartphone nutze, ist das etwas anderes, als wenn ich eigentlich mit meiner Familie beim Abendessen sitze.

Weil es unhöflich ist?

Aus mehreren Gründen. Zum einen konditioniert sich das Gehirn darauf, immer auch auf das zu achten, was es gerade nicht tut. Das bedeutet: Wir machen uns ablenkbarer. Außerdem kostet die technische Nutzung der Geräte Rechenkapazität in unserem Gehirn, unsere Konzentrationsfähigkeit schwindet.

Kann man das messen?

Das gehört zu den Dingen, die wir in der Forschung noch nicht gut verstanden haben: Warum wird so viel unserer eigenen Rechenkapazität abgesaugt, wenn wir diese Technik nutzen? Das ist anders, als wenn zum Beispiel Teenager bei den Hausaufgaben Musik hören. Das können die meist sehr gut verknüpfen. Es ist aber eine Illusion zu meinen, man könne Vokabeln lernen und parallel Social Media bedienen. Es dauert nachweislich doppelt so lange.

Also: Handy bei den Hausaufgaben neben sich legen und ignorieren?

Das reicht nicht. Interessanterweise hat das Gerät nämlich auch dann eine ablenkende Wirkung, wenn es ausgeschaltet vor mir liegt. Tatsächlich ist ein Teil der Kapazität im Stirnlappen, den wir für die Konzentration brauchen, schon allein damit beschäftigt, den Wunsch abzuwehren, doch auf das Handy zu drücken.

Und daraus wurde ein grandioses Geschäftsmodell.

Genau. Und das lautet: Wir zahlen mit unserer Aufmerksamkeit. Die Firmen bekommen ihre Werbeeinnahmen über die Häufigkeit unserer App-Nutzung. Wenn wir dagegen ins Café gehen, bezahlen wir den Kellner dafür, dass er uns den Kaffee bringt und uns ansonsten nicht stört. Wenn der alle zwei Minuten käme, in unseren Taschen kramte, uns von seinem Leben erzählte oder mit Werbeplakaten um den Tisch herumliefe – wir würden da nie wieder hingehen. Aber auf dem Smartphone lassen wir uns das gefallen.

Was wäre die Lösung?

Wie wäre es bei einer App per Monatsabo? Dafür hätten wir die Garantie, genau wie im Café nicht gestört zu werden. Dann müssten die Firmen auch nicht Hunderte von Psychologen anstellen, die uns möglichst abhängig von diesen Geräten machen wollen.

Diese Psychologen nutzen ja offenbar etwas aus, was in unserer Evolution hilfreich gewesen sein muss. Eine Stärke, die jetzt zur Schwachstelle wird.

Unsere Gehirne waren immer darauf ausgerichtet, sich ablenken zu lassen. Denn höchstwahrscheinlich ist der Steinzeitmensch, der eine Stunde auf die Palme geguckt und völlig vergessen hat, was um ihn herum passiert, nicht unser Vorfahre, weil er die Beute fürs Abendessen oder den angreifenden Säbelzahntiger übersehen hat. Unsere Gehirne sind so programmiert, dass wir sozusagen alle 15 bis 30 Sekunden was Neues suchen. Sich nicht ablenken zu lassen, ist dagegen ein relativ neuer neuronaler Mechanismus im Stirnlappen. Wir können tatsächlich die Ablenkbarkeit für eine bestimmte Zeit aktiv unterbinden.

Was erklärt die Faszination Smartphone noch?

Viele Anwendungen sind so gebaut wie die Spielautomaten in Las Vegas. Eine Belohnung kommt immer wieder vor, ist aber nicht sicher. Also: Mal bekommt man ein Like unter seinem Post, mal aber auch nicht. Manche Firmen halten den „Daumen hoch“ sogar künstlich zurück, und unser auf Belohnung programmiertes Gehirn veranlasst uns dann, wieder und wieder nachzuschauen. Das kann bis zur Sucht gehen. Und schließlich sind wir nun mal soziale Wesen – und in den sogenannten sozialen Medien werden wir mit anderen verbunden. Zum Teil funktioniert das auch.

Wieso nur zum Teil?

Es ist erwiesen, dass das Gehirn die Anwesenheit einer dreidimensionalen Person im selben Raum bevorzugt. Eine große Studie aus den USA hat gezeigt, dass 15-Jährige sich noch nie so einsam gefühlt haben wie heute – und die Untersuchung war 2017, also vor der Pandemie. Es gibt noch eine tolle Messung: Bei Müttern und Töchtern in einem Raum konnte man zeigen, wie sich die Rhythmen der Gehirnaktivität miteinander synchronisieren. Diese Art der Synchronisation hat sich bei einem Videotelefongespräch nicht eingestellt.

Unsere Gehirne sind also noch auf Steinzeitstand. Können wir biologisch aufholen und irgendwann besser mit den Anforderungen der digitalen Jetztzeit fertig werden?

Es dauert rund 40.000 Jahre, bis unsere Gehirne sich genetisch maßgeblich ändern. Ich würde lieber der Evolution vertrauen: Es gibt gute Gründe, warum gerade die Eingangspforte unseres Gehirns, also das Arbeitsgedächtnis, relativ klein ist. Arbeitsspeicher haben nämlich einen riesigen Energieaufwand – das ist trotz unterschiedlicher Funktionsweise im Gehirn nicht anders als im Smartphone. Auch da zahlt man für mehr Kapazität erheblich drauf, und diese frisst mehr Batterie. Außerdem ist es evolutionär offenbar erfolgreich gewesen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.

Kann man messen, dass Konzentrationsfähigkeiten nachlassen?

Ja. Es gibt eine große Studie aus China bei Grundschulkindern, die ganz klar zeigt: Die Sprachareale haben sich bei den Kindern, die viele Stunden vor dem Smartphone- oder Tabletbildschirm verbracht haben, deutlich schlechter entwickelt als bei der Vergleichsgruppe. Man erkennt auch bei standardisierten Tests, die seit Jahrzehnten eingesetzt werden, dass die Konzentrationszeiten sich verkürzt haben, weil die Ablenkbarkeit zugenommen hat. Das gilt übrigens auch für Erwachsene. Bei Jugendlichen gibt es zudem noch einen klar nachweisbaren Effekt: Der Daumen zum Beispiel, den sie fürs Scrollen und Wischen brauchen, ist im Gehirn deutlich größer repräsentiert als andere Finger.

Die allererste Generation Handy, also Menschen, die seit frühester Kindheit mit Smartphones aufgewachsen sind, wird langsam erwachsen. Was bedeutet das für die Gesellschaft?

Wer vor dem zehnten Lebensjahr viel Zeit mit dem Smartphone verbringt, wird im Umkehrschluss zu wenig Zeit mit anderen Menschen verbringen und zu wenig darüber lernen, wie diese fühlen und denken. Das Gehirn ist aber so programmiert, genau das bis zu genau diesem Alter zu lernen. Deswegen sollten Eltern alternative Angebote machen: Sport, Vereine, Spielen mit anderen Kindern. Ich mache mir auch große Sorgen, ob Jugendliche überhaupt noch Fremdsprachen lernen wollen. Sie könnten denken: „Wenn ich im Ausland bin, kann das eine KI für mich machen.“

Das klingt so, als sollte man Smartphones an Schulen verbieten.

Ich bin immer gegen Verbote. Die Lehrer sollen entscheiden, welche Lehrmittel sie einsetzen. In der Grundschule würde ich aber sagen: Die Schüler sollten entweder einen Ball zum Spielen oder einen Stift zum Schreiben in der Hand haben. Bewegung ist der wichtigste Anreiz für Gehirnentwicklung in dem Alter. Und das Lernfenster für die Feinmotorik schließt sich dann allmählich. An weiterführenden Schulen sehe ich kein Problem darin, wenn Lehrer gerne mit dem Smartboard arbeiten.

Was geht uns verloren, auch biologisch, wenn wir keine Langeweile mehr zulassen, weil wir immer sofort das Smartphone in die Hand nehmen?

Kreativität! Ein Großteil unserer Ideen kommt beim sogenannten Tagträumen, wenn wir also Gehirnareale auf Schleichwegen miteinander verknüpfen, die wir sonst gar nicht nutzen. Es gibt eine Studie, in der Künstler und Physiker befragt wurden, wann sie neue Einfälle hatten. Die Hälfte bis zwei Drittel aller Ideen kamen in besonders entspannten Momenten. Wir berauben uns dieser Zeit.

Zum Abschluss: Verraten Sie uns bitte  Ihre besten persönlichen Tipps für digitale Abstinenz!

Das eine ist: Bewusst entscheiden, was die eigene Aufmerksamkeit bekommt. Bevor ich zum Smartphone greife, durchatmen und prüfen, ob ich das jetzt wirklich möchte. Und dann: Das Smartphone am besten ganz ausschalten und aus dem Blickfeld räumen. Es hat schließlich seinen Grund, dass wir auch eine Tafel Schokolade lieber irgendwo wegschließen. Wenn ich zu Hause lesen will, und es läuft zugleich die Fußball-Champions-League, dann lege ich mein Smartphone in ein anderes Zimmer und setze mich mit dem Buch ins Wohnzimmer. Dann muss ich eben gezielt zwischendurch rüberlaufen, um den Spielstand anzuschauen. Das mache ich aber nicht alle zwei Minuten, was garantiert der Fall wäre, wenn das Handy neben meinem Sessel läge.

Autor mehrerer Bücher

Martin Korte (59) ist seit 2007 Professor für Zelluläre Neurobiologie an der Technischen Universität Braunschweig sowie Direktor des Zoologischen Instituts. Nach dem Studium der Biologie in Münster und Tübingen zog es ihn über Aufenthalte in den USA nach München, wo er an der LMU habilitierte, bevor er 2004 nach Braunschweig wechselte. Seit 2013 ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Der verheiratete Vater zweier Söhne fährt gerne Rennrad, hat früher aktiv Fußball gespielt und verfolgt den Sport weiterhin. Korte liest gerne und ist selbst Autor verschiedener Sachbücher, zuletzt erschien: „Frisch im Kopf: Wie wir uns aus der digitalen Reizüberflutung befreien“.

Sicherer Schulweg in Kremmen

OGA vom 07. Dezember 2023 OBERHAVEL

Eltern fordern sicheren Schulweg

Verkehrssicherheit

Anfang September starb ein 14-jähriger Jugendlicher in Kremmen bei einem Unfall mit einem Bus. Eltern nehmen das zum Anlass, sich zu fragen, wie sicher Haltestellen sind.

Von Jessica Neumayer

Anfang September 2023 starb ein 14-Jähriger nach einem Unfall auf der Berliner Chaussee zwischen Kremmen und Amalienfelde. Der Schock sitzt bei vielen Eltern noch tief. In einem offenen Brief fordert die Schulkonferenz der Kremmener Goethe-Grundschule nun, dass Maßnahmen zum Schutz der Kinder vorgenommen werden. Konkrete Vorschläge haben sie ebenfalls.

Es war laut Polizei in diesem Jahr der dritte schwere Verkehrsunfall in Oberhavel, als am 5. September ein Jugendlicher von einem Bus der Oberhavel Verkehrsgesellschaft mbH (OVG) erfasst wurde. Der Junge war gerade aus dem Bus ausgestiegen und wollte die Straße überqueren, als ein anderer Bus aus der Gegenfahrbahn mit ihm kollidierte. Mit dem Hubschrauber wurde er ins Krankenhaus gebracht, in dem er seinen Verletzungen erlag.

Kremmen hat wiederholt Anträge an die Straßenverkehrsbehörde gestellt.

Seit dem Unfall sind die Eltern der Goethe-Grundschule mehr denn je in Sorge, ihre Kinder alleine in die Schule zu schicken. Sie fragen sich allgemein, ob der Schulweg ihrer Kinder so sicher ist, wie er sein müsste. Sie kommen zu einem ernüchternden Ergebnis. „Leider hält die tägliche Wirklichkeit dieser Frage nicht stand und beweist regelmäßig, dass noch längst nicht alles getan wurde, was getan werden könnte“, heißt es in einem offenen Brief, unterzeichnet von der Schul- sowie Elternkonferenz der Grundschule, adressiert an Landkreis, Polizeidirektion und Stadt Kremmen. Die Forderungen der Schulkonferenz sind auf den ersten Blick so simpel wie effektiv. Sie fordert, „dass an Bussen, die mit Warnblinkanlage an der Haltestelle stehen, in beiden Fahrtrichtungen nur mit Schrittgeschwindigkeit und ausreichendem Abstand vorbeigefahren werden darf“.

Die Idee ist nicht neu, sondern sogar in der Straßenverkehrsordnung (§16 und §20 STVO) vorgeschrieben. Neu ist hingegen die Forderung, dass diese Regelung an allen Haltestellen gelten soll, „sobald dort Schulkinder den Bus besteigen oder verlassen könnten“. Bisher gilt dies nur an Haltestellen, an denen die Straßenverkehrsbehörde dies angeordnet hat.

Im Brief wird bemängelt, dass diese Verkehrsregelung zu unbekannt sei. Mehr Präventionsarbeit sei nötig. „Tatsächlich haben viele Autofahrende nicht auf dem Schirm, dass bei eingeschalteter Warnblinklichtanlage nur in Schrittgeschwindigkeit vorbeigefahren werden darf“, bestätigt Joachim Lemmel, Pressesprecher der Polizeidirektion Nord. In Bezug auf die Forderung der Eltern, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen, fügt er hinzu, dass die Polizei grundsätzlich immer dabei ist, zu informieren. „Wir werden prüfen, welche zusätzlichen Präventionsmaßnahmen noch umsetzbar sind“, so Lemmel.

Ebenso werden im Brief Busunternehmen angesprochen, ihre Mitarbeitenden zu instruieren. „Eine entsprechend der Straßenverkehrsordnung umgesetzte Änderung in den Arbeitsroutinen der Busfahrer sowie im Bewusstsein der Autofahrer verankerte Verhaltensänderung können zu einer sehr starken Reduktion der Risiken für die Kinder führen“, schreibt die Schulkonferenz.

„An vielen Haltestellen, an denen Schulkinder ihren Weg zum Bus oder nach Hause meistern müssen, lauern vermeidbare Gefahren“, heißt es im offenen Anschreiben. Gemeint sind beispielsweise Gefahren wie unsichere beziehungsweise fehlende Möglichkeiten eine Straße zu überqueren oder zu hohe Geschwindigkeitsvorgaben. Als Beispiel werden Haltestellen in Staffelde genannt.

Auch an die Eltern richtet sich das Schreiben. „Eine große Gefahrenquelle für alle Kinder geht von den Eltern aus, die das vor der Schule bestehende Halteverbot missachten oder in zweiter Reihe parken und ihren Kindern keinen noch so kleinen Fußweg zumuten wollen.“

Dies mache die Situation für alle Kinder unübersichtlich und folglich unsicher. Zudem würden Eltern auch an haltenden Schulbussen in solch einem erhöhtem Tempo vorbeifahren, dass ein rechtzeitiges Anhalten kaum noch möglich sei, heißt es im Brief. Womit die anfängliche Forderung, Busse mit eingeschalteten Warnblinklicht nur mit Schrittgeschwindigkeit passieren zu dürfen, nochmals untermauert wird.

Kremmens Bürgermeister Sebastian Busse (CDU) hat in Bezug auf den Brief eine besondere Stellung. Er ist sowohl Verfasser als auch Empfänger. Als Mitglied der Schulkonferenz hat er den Brief mitformuliert. „Der offene Brief ist nicht als Kritik gemeint, sondern als Unterstützung, um Felder aufzuzeigen, an denen nachgebessert werden kann“, sagt er auf Nachfrage. Er fügt hinzu, der Brief solle als Hinweis gesehen werden und zugleich als Aufforderung an die Fachämter, eine Stellungnahme abzugeben, ob die Verbesserungen, so wie die Konferenz sie sich denkt, möglich sind.

Die Stadt Kremmen hat laut Busse wiederholt Anträge an die Straßenverkehrsbehörde gestellt, unter anderem auf ein Überholverbot an bestimmten Bushaltestellen, Geschwindigkeitsreduzierung auf Tempo 70 an allen Haltestellen, die außerhalb von Kremmen zwischen den Ortschaften liegen sowie die Einordnung gewisser Haltestellen als besondere Gefahrenpunkte. Bisher seien diese Anträge jedoch noch in Bearbeitung.

Das Thema Schulentwicklungsplan war auf der Tagesordnung im Kreistag Oberhavel

OGA vom 08. Dezember 2023 OBERHAVEL

Notlösungen sollen ein Ende haben

Bildung

Überfüllte Klassen sind in Oberhavel an der Tagesordnung. Lehrer und Schüler sind am Limit. Nun wurden konkrete Maßnahmen beschlossen, um dem Problem zu begegnen.

Von Stefan Zwahr

In Oranienburg und Umgebung stehen Schulen vor großen Herausforderungen. Der anhaltende Zuzug sorgt dafür, dass immer mehr Kinder und Jugendliche in die ohnehin schon ausgelasteten Schulen drängen. Die Zeiten, in denen durch Containerbauten Notlösungen geschaffen wurden, sollen der Vergangenheit angehören. Das sind die Pläne.

Diskutiert und beschlossen wurden sie am Mittwoch, 6. Dezember, im Kreistag in Oberhavel – nach monatelangen Kontroversen in den Fachausschüssen. Nun gab es Ergebnisse, die sich auch im Schulentwicklungsplan wiederfinden. Dieser wurde aktualisiert und dient in den kommenden Jahren als Grundlage bei der Gestaltung der Bildungslandschaft.

Es ist nicht die beste Lösung, aber die optimale.

Christopher Gordjy (SPD) Kreistagsmitglied

Sieben Züge sind an diesem Standort dauerhaft nicht zu verkraften.

Manuela Brüssow Torhorst-Schulleiterin

So ist die Situation

Im Rahmen der Einwohnerfragestunde waren Beispiele aus der Praxis aufgezeigt worden. So schilderte Stephan Welker, Vorstandsmitglied im Kreiselternrat, Szenen aus Schulen, „die alle überfüllt worden sind“. Dennoch kann längst nicht jedem Schüler wohnortnah ein Angebot unterbreitet werden. Auch der Germendorfer betont, dass Schulwege länger werden. „Schüler aus Glienicke werden in Hennigsdorf zugewiesen, Kinder aus Germendorf müssen nach Löwenberg.“

Als das Paradebeispiel für volle Schulen wurde zuletzt immer wieder die Torhorst-Gesamtschule Oranienburg genannt. Deren Schulelternsprecher Torsten Martin unterstreicht: „Die geplante Zügigkeit treibt uns um.“ Die Einrichtung wurde einst für fünf Klassen pro Jahrgangsstufe ausgelegt, aktuell sind es teilweise sieben. „Das Gebäude platzt aus allen Nähten, das Kollegium ist am Limit“, berichtet Manuela Brüssow. Die Schulleiterin hatte sich im November-Bildungsausschuss umfassend zum schwierigen Alltag geäußert. Nun forderte sie einmal mehr: „Der Lehrprozess muss für die Lehrkräfte noch überschaubar sein. Sieben Züge sind an diesem Standort dauerhaft nicht zu verkraften.“

Die wichtigsten Beschlüsse

Zu diesem Szenario wird es auch nicht kommen. Ein Antrag der CDU, wonach die Zügigkeit in den kommenden Jahren begrenzt wird, fand eine Mehrheit. Dauerhafte Zügigkeitserhöhungen durch Schulerweiterungsbauten und temporäre Zügigkeitserhöhungen sollen eine Ausnahme bilden. „Einfache und schnelle Notlösungen werden irgendwann zur Belastung. Den Weg, wonach der enorme Mangel an Schulplätzen durch Container behoben wird, werden wir nicht mitgehen“, ließ Katrin Gehring verlauten. Es war nicht der einzige erfolgreiche Vorstoß der Christdemokraten im Kreistag. Dieser fasste am 6. Dezember unter anderem diese Beschlüsse:

 Errichtung einer Gesamtschule in Velten: Diese soll bis zum Schuljahr 2027/28 in unmittelbarer Nachbarschaft des Gymnasiums entstehen. Geplant wird mit fünf Zügen pro Jahrgangsstufe.

 Das Schulzentrum Libertas Löwenberg (bestehend aus Grund- und Oberschule) soll in die Trägerschaft des Landkreises Oberhavel – der damit für Bau, Betrieb und Ausstattung zuständig ist – übernommen werden. Ziel des Kreises ist es, kreisweit vergleichbare Lernbedingungen für Schüler und somit Chancengleichheit zu schaffen.

 Der Landkreis wurde beauftragt, die Errichtung einer Gesamtschule in der Region Oberkrämer/Kremmen „mit günstiger Anbindung an den ÖPNV“ zu prüfen. Die Linke begründete den Antrag mit der steigenden Nachfrage nach dieser Schulform. Ursel Degner: „Insbesondere im Raum Oberkrämer und Kremmen besteht seit vielen Jahren ein enormer Zuwachs an Einwohnern, mit entsprechend vielen Kindern und Jugendlichen. Schulen müssen dort entstehen, wo die Menschen leben.“

Der Landkreis beabsichtigt, eine neue weiterführende Schule in Schönfließ (Mühlenbecker Land) zu errichten. Die Planungen sehen darüber hinaus vor, den Erwerb der allgemeinen Hochschulreife bereits nach zwölf Schuljahren zu ermöglichen.

 Die Torhorst-Gesamtschule Oranienburg soll mit einem dauerhaften Erweiterungsbau ausgestattet und damit als sechszügige Einrichtung ausgebaut werden. Des Weiteren wird die Oberschule in Lehnitz als zukünftige sechszügige Gesamtschule ausgebaut. Um die fehlenden Gesamtschulplätze im Planungsgebiet abzudecken, sei diese Entwicklung dringend geboten, so die Linken.

Eine neue Schule in Velten

Einen intensiven Gedankenaustausch gab es gerade zum geplanten Schulneubau in Velten. Bildungsdezernent Holger Mittelstädt unterstrich die Notwendigkeit. „Ohne eine weitere weiterführende Schule fehlt ab 2027 im Bereich Velten, Hennigsdorf und Oberkrämer eine erhebliche Anzahl von Plätzen in der Klassenstufe sieben.“ Nur auf diesem 25.500 Quadratmeter großen Areal in Velten seien die Planungen so weit, dass mit dem Bau begonnen und in einem engen Zeitplan eine Schule errichtet werden kann.

Die CDU blieb bei ihrer ablehnenden Haltung. „Dieses Areal ist für uns der versprochene Standort für den Ersatzneubau für die Zürner-Oberschule.“ Die neue Schule wiederum würde sich in unmittelbarer Nähe von Zürner-Oberschule und Gymnasium befinden. Gehring rechnete vor, dass in Spitzenzeiten mehr als 1600 Kinder und Jugendliche zusammenkommen würden. „Mit dieser Masse an Schülern können und wollen wir nicht umgehen. Wir sind gegen diese starke Ballung.“ Auch die Linke warnte durch Ursel Degner davor, unüberschaubare Schulstandorte zu errichten. Soziale Spannungen seien vorprogrammiert. Die SPD hielt dagegen. „Es ist nicht die beste Lösung, aber die optimale“, bemerke Christopher Gordjy. Zuvor hatte er schon verlauten lassen, dass „keine idealen Lernbedingungen“ immer noch besser seien, als in keiner Schule zu lernen. Seine Parteifreundin Jutta Lindner hält die Diskussion um die Ballung für Stimmungsmache. „Die Schüler beeinflussen sich beim Lernen in keiner Weise.“

Kritik von und an der AfD

Die AfD um Tim Zimmermann sah es pragmatisch. „Das Projekt ist nicht perfekt, aber sonst passiert gar nichts.“ Die jüngste Pisa-Studie habe das Fiasko in der deutschen Bildungspolitik aufgezeigt. Auch in Oberhavel würde es sich nur um Flickwerk handeln. Der Oranienburger klagt an: Es gibt zu wenig Schulen, akute Raumnot, zu hohe Frequenzen in den Klassen, zu wenig Lehrer und im Norden des Kreises unzumutbar weite Schulwege. Aussagen, die Uwe Münchow (FDP) auf den Plan riefen. Er erinnerte daran, dass es mehrere Arbeitskreise gegeben habe, bei denen über die Bildungspolitik in Oberhavel gesprochen wurde. „Die AfD war fast nie dabei.“

Videokameras privat richtig einsetzen – Datenschutz beachten!

OGA vom 06. Dezember 2023 WIRTSCHAFT

Nachbarsgarten ist tabu

Videoüberwachung

Wer sein Grundstück mithilfe einer Kamera im Auge haben will, muss auch die Rechte seiner Umgebung im Blick behalten.

Von Julia Kling

Eigentlich wollten sie nur ihren verwinkelten Eingangsbereich im Blick haben. Vom Türspion aus sehen die Müllers nur einen kleinen Teil ihres Grundstücks. Der Weg zur Haustür, der zwischen Wohnhaus und freistehender Garage hindurchgeht, ist nicht einsehbar. Gerade in den Wintermonaten, wo es lange Zeit am Tag dunkel ist, fühlte sich das Paar mit seiner fünfjährigen Tochter nicht wohl, berichtet Anja Müller. „Mit einer Überwachungskamera wollten wir diesen toten Winkel im Blick behalten.“ Doch mit dieser Entscheidung ging der Ärger erst los. Denn die Nachbarn der Müllers stören sich an der Kamera, da diese auch Teile ihres Gartens aufzeichne. „Das war uns bei der Installation nicht bewusst“, sagt Tobias Müller.

Mittlerweile habe ein Fachmann die Kamera so eingestellt, dass der Bereich der Nachbarn verschwommen dargestellt werde. Das reicht diesen aber nicht, sie wollen vor Gericht ziehen. Wie lässt sich also trotz naher Grundstückgrenzen eine Videoüberwachung installieren?

Auch eine Attrappe kann Druck ausüben.

Wo darf gefilmt werden? Wer eine Video-Anlage installieren will, darf damit nur das eigene Grundstück überwachen. Fremde Grundstücke oder öffentliche Wege sind tabu. Wer Passanten und Nachbarn filmt, verstößt gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Auch das Recht am eigenen Bild gilt es zu beachten. „Selbst eine Kamera-Attrappe kann nach Ansicht einiger Gerichte bei Menschen das Gefühl auslösen, überwacht zu werden, und sie unter Druck setzen“, erklären Verbraucherschützer.

Welche Kamera ist für die Überwachung geeignet? Die Verbraucherzentrale rät zu festinstallierten Modellen. Drehbare Modelle können unterschiedliche Blickwinkel einnehmen. Für Anwohner und Passanten ist so der einsehbare Bereich der Kamera nicht klar definiert. Das könne zu Unterlassungsansprüchen der Gefilmten führen.

Braucht es Hinweisschilder? Die Datenschutzbehörden sowie Verbraucherschützer weisen darauf hin, auch auf Privatgrund Besucher mit einem Schild auf die Videoüberwachung aufmerksam zu machen. „Wenn Sie die Regeln nicht einhalten und jemanden ohne dessen Einverständnis auf eigenem, fremden oder öffentlichen Grund filmen oder fotografieren, verstoßen Sie gegen das europaweite Datenschutzrecht und müssen damit rechnen, dass so gewonnene Beweisfotos in einem Strafprozess gar nicht verwertet werden dürfen.“ Zudem sei ein Bußgeld der Datenschutzbehörde möglich. Auch zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz oder gar Schmerzensgeld seien denkbar, erklären die Verbraucherschützer.

Sind Ausnahmen möglich? Nur in wenigen Ausnahmefällen dürfen auch Nachbargrundstücke oder öffentliche Flächen gefilmt werden. Dazu müsse es jedoch einen schwerwiegenden Anlass geben. Dies könne der Fall sein, wenn eine Immobilie schon „mehrfach Opfer eines Einbruchs wurde“, so die Verbraucherschützer. Eine rein abschreckende Wirkung rechtfertigt der Konferenz der deutschen Datenschutzbehörde zufolge hingegen keine dauerhafte Überwachung.

Was gilt in einer WEG? Die Installation einer Videoüberwachungsanlage ist eine bauliche Veränderung am Gemeinschaftseigentum und muss von der WEG mit einer einfachen Mehrheit beschlossen werden. Dabei gilt es jedoch einiges beachten. Etwa darf die Überwachung sich nur auf die Gemeinschaftsflächen erstrecken, nicht auf das Sondereigentum einzelner Eigentümer. Zudem muss der Beschluss „nicht nur die technische Installation regeln, sondern auch eine Nutzungsregelung enthalten“, erklärt Michael Nack, Rechtsreferent des Verbraucherschutzverbands Wohnen im Eigentum. Dazu zähle, welcher Bereich wozu wann überwacht wird, wie die Aufnahmen gespeichert werden, wer Zugriff darauf hat und wann sie gelöscht werden. Zudem müsse jemand für die Umsetzung verantwortlich sein. Das müsse am Ort der Überwachung durch einen Aushang ersichtlich sein. Auch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gelte es einzuhalten. „Wird keine Nutzungsregelung beschlossen, die den Anforderungen der DSGVO entspricht, besteht das Risiko, dass der Beschluss jederzeit von einem Gericht für nichtig erklärt werden kann“, gibt Nack zu bedenken.

Wie ein Blick durch den Spion

Der Postbote oder Bekannte? Mit einer Klingelkamera sehen Bewohner bereits bei geschlossener Türe, wer davor auf sie wartet. Die Bilder werden auf einen Bildschirm übertragen oder können auf dem Smartphone abgerufen werden. Auch hier darf ausschließlich der Privatbereich gefilmt werden. Das ist in Mehrparteienhäusern nicht so leicht zu bewerkstelligen, da der Eingangsbereich oft von mehreren Eigentümern genutzt wird. In einem Urteil von 2011 hat der Bundesgerichtshof festgelegt, dass der Einbau einer Kamera in ein Klingeltableau dann möglich ist, wenn die Kamera nur durch die Betätigung der Klingel aktiviert wird. Darüber hinaus soll die Aufnahmedauer maximal eine Minute betragen und das übertragene Bild lediglich in der Wohnung angezeigt werden, bei der auch geklingelt wurde. Ein dauerhaftes Aufzeichnen der Bilder ist unzulässig.

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Ich freue mich über diesen Artikel im heutigen OGA auf Seite 15.

Spricht er mir doch sehr aus der Seele; gehen Sie einmal durch den Wohnpark Sommerfeld spazieren und halten die Augen offen. Ja, Sie werden einige Kameras auf Privatgrundstücken endecken, die den oben aufgeführten Regeln nicht entsprechen.

Brandenburg und der Wolf – leider ein Streitthema

OGA vom 29. November 2023 OBERHAVEL

Dem Wolf auf der Spur

Natur

Ist es Isegrim oder doch ein Hund? Experten mit feinen Nasen folgen Fährten und schwärmen von magischen Momenten. Der Dauerstreit um das Wildtier bleibt für sie Nebensache.

Von dpa

Die Verwechslungsgefahr ist groß: Bürger wollen einen Wolf auf Wanderschaft gesehen haben und melden sich bei den Behörden – am Ende ist es doch nur ein großer Hund. Auch Paul Wernicke kann sich nicht immer hundertprozentig sicher sein, denn die Trittsiegel, also die Pfotenabdrücke, sind sehr ähnlich. Als Fährtenleser und Leiter einer Wildnisschule in Bad Belzig unterstützt der 45-Jährige das Wolfsmonitoring in Brandenburg. Seine Begegnungen mit dem Wolf beschreibt er so: „Es hat schon was Magisches, weil man den einfach nicht häufig sieht.“ Die meisten sicheren Wolfsnachweise erbringen aber Wissenschaftler, die im Labor anhand von Kot, Haaren und Speichelresten nach Weidetier-Rissen genetische Analysen durchführen.

Paul Wernicke und seine Begleiter Greg und Sebastian laufen an einem kühlen Herbstvormittag tief hinein in den Wald im Hohen Fläming im Südwesten Brandenburgs. Die Region, auch bekannt durch mehrere mittelalterliche Burgen, gilt als Naturidyll und wird als Paradies für Stillesucher beschrieben. Schon auf den ersten Metern zwischen Kiefernstämmen hindurch stoppt Wernicke, der sich für Vogelstimmen begeistert, immer wieder und horcht. Kohlmeise, Zaunkönig und Spechte sind hier zu Hause.

Die Region gilt als Naturidyll und wird als Paradies für Stillesucher beschrieben.

Die Spurenleser kennen die Reviere des Wolfs – die Orte, wo er durchzieht oder wo er womöglich Welpen zur Welt bringt. „Wir können über Fährten bestätigen, ja, es war ein Wolf“, sagt Wildnispädagoge Wernicke.

Auch bei der aufsehenerregenden Suche nach einer angeblichen Löwin in Kleinmachnow bei Berlin hatten im Sommer Spurenleser und internationale Experten bei der Aufklärung geholfen. Sie erkannten anhand von Fotos, dass es sich doch nur um ein Wildschwein handelte.

Seit einem ersten Kurs, da war er Mitte 20, sei er süchtig nach Tierspuren und Geschichten aus der Natur, erzählt Fährtenleser Wernicke. „Für mich gibt es nicht Schöneres, als draußen zu sein.“ Er habe schon viele Wolfsspuren gesehen und den Wolf auch heulen hören, erzählt sein Freund Sebastian Model, der aus Sachsen nach Bad Belzig zog. „Das ist sehr, sehr magisch.“ Gesehen habe er ihn aber noch nicht.

Systematische Datensammlung

Im Wald sammeln die Fährtensucher Haare und Kotproben, riechen an den Hinterlassenschaften, versuchen die Trittsiegel von Wölfen auszumachen. Markierungspfeile, mit denen sie Spuren am Boden kennzeichnen, ein Zollstock, manchmal auch eine Wärmebildkamera gehören zur Ausrüstung.

In der Landschaft des Naturparks Hoher Fläming sollen sich in den vergangenen 15 Jahren mehrere Rudel angesiedelt haben. Aufsehen hatte 2017 ein Jäger aus Dänemark erregt, der eine Wölfin während einer Treibjagd bei Bad Belzig erschossen hatte. Der Wolf ist in Deutschland eine streng geschützte Art und darf – abseits seltener Ausnahmeregelungen – nicht bejagt werden.

In einem Buchenwäldchen machen die Spurenleser zuerst ein paar unterirdische Dachsbauten aus. Dann inspizieren sie eine Höhle – eine mögliche Wurfhöhle, wie sie eine Wölfin für die Geburt ihres Nachwuchses gräbt, wie Wernicke erklärt. Erst steckt der etwa 1,90 Meter große Mann den Kopf in die Öffnung, dann schiebt er sich immer weiter in die enge, sandige Höhle hinein, bis nur noch seine Waden und Füße mit den Wanderschuhen herausschauen.

Frische Wolfsspuren oder Hinterlassenschaften? Fehlanzeige. Paul Wernicke ist überzeugt, dass er hier keine Wölfe stören kann. In der Regel bringt eine Wölfin im April oder Mai ihre Welpen zur Welt. Auf Bildern einer Kamera sind nur Füchse zu erkennen. Auch der Sandweg mit vielen Fußabdrücken verrät den Spurenlesern, dass Fuchs, Reh und Hase hier unterwegs waren – ein Wolf an diesem Tag aber wohl nicht. Immerhin: Alte Wolfslosung, also Kot, liegt auf dem Weg.

„Also, ich habe lange Jahre Wolfskurse gegeben, bevor ich meinen ersten Wolf gesehen habe“, meint Wernicke, der mit seiner Familie abgelegen am Waldrand lebt. Jetzt sei das anders: „Der Wolf läuft regelmäßig 15 Meter hinter meinem Haus an der Feldkante entlang.“

Deutschland ist längst wieder Wolfsland geworden. Die zur Tierfamilie der Hunde gehörenden Wildtiere breiten sich aus. Nach neuesten Zahlen des Bundesamtes für Naturschutz gibt es 184 Rudel, also Wolfsfamilien – 22 mehr als im vorherigen Monitoringjahr 2021/22, das von Anfang Mai bis Ende April des Folgejahres dauert. Die meisten Rudel leben in Brandenburg, wo es laut Umweltministerium 62 bestätigte Territorien, 52 Rudel und 190 Welpen gibt. Eine Gesamtzahl der Tiere geben die Behörden nicht an, unter anderem, weil die Zahl der Wölfe innerhalb eines Rudels schwankt.

Die Länder sammeln systematisch Daten zum Wolfsbestand, gewinnen mit genetischen Untersuchungen von Kot, Haaren und Abstrichen von gerissenen Tieren sichere Nachweise und können Verwandtschaften feststellen. Auch Fotofallen gelten nach Einschätzung des Bundesamtes für Naturschutz als bewährte Methode. Wo die Kameras hängen, wird aus Sorge vor Beschädigungen und Wolfs-Tourismus geheimgehalten.

Schädel als 3D-Modell, Haare in Tütchen

Viele ehrenamtliche Wolfsbeauftragte, die meist eine gute Ortskenntnis haben, unterstützen das Wolfsmonitoring in Brandenburg und liefern wichtige Daten. Spurenleser erbringen dabei nur einen verschwindend geringen Anteil, wie ein Sprecher des brandenburgischen Landesamtes für Umwelt sagt.

Aufschluss über den Wolfsbestand gibt das Senckenberg Zentrum für Wildtiergenetik in Hessen, das deutschlandweit gesammelte Proben untersucht. Pro Jahr seien es etwa 5000 DNA-Analysen, sagt der Leiter Carsten Nowak. Inzwischen untersuchten die Wissenschaftler vor allem Speichelproben nach Weidetierrissen.

Weil Attacken auf Schafe, die oft leichte Beute für den Wolf sind, zugenommen haben, steigt die Wut mancher Landwirte. Es gibt Forderungen, Abschussquoten festzulegen. Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will schnellere Abschüsse einzelner Wölfe in Regionen ermöglichen, in denen vermehrt Weidetiere gerissen werden. Umwelt- und Tierschützer etwa vom Naturschutzbund (Nabu) können sich damit anfreunden, Jägern und Bauern reicht das geplante Vorgehen nicht. Auch Wissenschaftler Nowak bekommt den Streit zu spüren. „Wir werden auch angefeindet, mal von Wolfsgegnern, mal von Wolfsfreunden“, erzählt der Institutsleiter.

Bei den Spurenlesern aus Bad Belzig überwiegt die Leidenschaft für den Wolf. Ein Schädel steht als 3D-Modell in der Wildnisschule, Wolfshaare werden in Plastiktütchen aufbewahrt, anhand von in Ton abgebildeten Pfotenabdrücken lässt sich erklären, woran man eine Wolfsspur erkennen kann. Vor allem treibt die Tracker die Liebe zur Natur an, die sie in Kursen zum Spurenlesen, aber etwa auch über die Vogelsprache Erwachsenen und Kindern vermitteln wollen, wie sie sagen. „Ich glaube, dass es langsam durchsickert in der Gesellschaft, dass Naturverbundensein, sich da draußen auskennen, sich da auch wohlfühlen, eine immer höhere Bedeutung bekommt (…)“, meint Wildnispädagoge Paul Wernicke.

Ob die Spurenleser demnächst auch häufiger den Fährten eines Neuankömmlings, des Goldschakals, folgen können? Eine Verwechslung mit seinem engen Verwandten, dem Wolf, ist möglich, aber auch mit dem Fuchs. Laut Deutscher Wildtier Stiftung breitet sich das scheue Tier noch eher heimlich in Deutschland aus. Den ersten dokumentierten Nachweis eines Goldschakals, der ursprünglich in Asien und auf dem Balkan zu Hause ist, hatte es 1997 in Brandenburg gegeben. Es sei durchaus möglich, dass Goldschakale durchs Land streifen, mit Ansiedlungen sei zu rechnen, heißt es vom Landesumweltamt. „Ich gebe denen noch 15, 16 Jahre, dann wird er hier häufig sein“, meint Fährtenleser Sebastian Model.

In den letzten Jahren folgten Sichtungen schon in immer mehr Bundesländern. In etablierten Wolfsterritorien wird der Goldschakal sich bisherigen Erkenntnissen zufolge allerdings kaum niederlassen – sein großer Bruder stellt eine tödliche Gefahr für ihn dar.