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Auswertung des Mobilitätskompass

28. Oktober 2023OBERHAVEL

Kremmen landesweit Schlusslicht

Verkehr

Bei der Umfrage „Mobilitätskompass“ landet Kremmen landesweit auf dem letzten Platz. Was sind die Gründe? Was muss besser werden?

Von Jessica Neumayer

Um die Mobilität in Kremmen steht es nicht gut – zumindest, wenn es nach den knapp 8000 befragten Brandenburgerinnen und Brandenburgern geht, die bei der Online-Umfrage von moz.de zum Thema Mobilität mitgemacht haben. Kremmen bildet das Schlusslicht der elf Städte des Landkreises Oberhavel, und auch im landesweiten Vergleich landet die Stadt ganz hinten. Woran liegt das, und wie könnte es verbessert werden?

Wer an Kremmen denkt, sieht vielleicht als Erstes den historischen Stadtkern, das Scheunenviertel oder die ländliche Idylle vor sich. Die Ackerbürgerstadt mit ihren sieben Ortsteilen wurde in den vergangenen Jahren vor allem bei Familien immer beliebter. Dem Stadtleben entkommen, aber dennoch gut angebunden wohnen, so ist die Vorstellung. In der Praxis sieht das anders aus.

Um die Mobilität zu verbessern, müsste die Deutsche Bahn zuverlässiger werden.

Sebastian Busse (CDU) Bürgermeister

Am schlechtesten schneidet Kremmen bei der Nutzbarkeit von Radwegen ab.

Bei den Fragen des Mobilitätskompasses bezüglich Infrastruktur, Sicherheit und Nahverkehr erhielt Kremmen im Ranking von allen beteiligten Orten Brandenburgs eine 3,27 – wobei 1 für sehr gut und 5 für sehr schlecht steht – und landet in der Rangliste als Schlusslicht auf Platz 114.

Gute Anbindung mit dem Auto

Die Anbindung per Straße ist nicht das Problem. Mit den Landstraßen L170 und L19 hat Kremmen gute Voraussetzungen, mit dem Auto schnell nach Nauen, Oranienburg oder Herzberg (Mark) zu kommen. Auch die zwei Auffahrten zur A24 versprechen gute Anschlussmöglichkeiten zu näheren oder entfernteren Zielen, wie beispielsweise Berlin oder Hamburg. „Mit dem Auto sind wir gut angebunden“, sagt Eckhard Koop, Vorsitzender des Ortsbeirats Kremmen.

Ähnliches spiegelt sich in den Umfrageergebnissen wider. Im Bereich Infrastruktur Auto schafft Kremmen mit einer 2,7 den Sprung ins hintere Mittelfeld aller Kommunen Oberhavels – auf Platz acht von elf. Dennoch übt Koop Kritik am schlechten Zustand der Straßen und fordert hier Verbesserung, und zwar auch über Kremmen hinaus. „Wenn man durch Vehlefanz fährt, ist das eine Zumutung fürs Fahrzeug“, sagt Koop.

Laut Umfrageergebnissen wird die Infrastruktur für Autos jedoch nicht groß bemängelt. 48 Prozent der Befragten sagen, dass auf die Belange der Autofahrenden geachtet werde. Über die Hälfte der Befragten stimmen zudem zu, dass die Parksituation sehr gut ist und bewerten positiv, dass es selten Stau gibt.

Am schlechtesten schneidet Kremmen (3,46) bei der Nutzbarkeit von Radwegen ab. In Oberhavel wird nur Birkenwerder (3,48) knapp schlechter bewertet. Problematisch wird von 83 Prozent der Befragten gesehen, dass Autos beim Überholen zu wenig Sicherheitsabstand halten. Zudem sind die Radwege, sofern es sie überhaupt gibt, zu schmal. Anders sieht das mit den Verbindungen in die Umgebung aus. Gute Beispiele sind die Radwege Richtung Havelland nach Nauen und nach Beetz.

Zwischen Flatow und Kremmen, Beetz und Herzberg sowie Sommerfeld und Hohenbruch fehlt eine Radverbindung. „Der Radweg zwischen Schwante und Germendorf ist seit 15 Jahren vermessen, aber es geht nichts voran“, ärgert sich Eckhard Koop und fügt hinzu „Das wäre eine traumhafte Strecke, wenn man zum Beispiel mit dem Fahrrad zum Tierpark Germendorf kommen würde.“ So sei die Strecke jedoch gefährlich, und es sei ein Wunder, „dass da noch nichts Schlimmes passiert ist“, bemängelt der Ortsbeiratschef.

Auch Bürgermeister Sebastian Busse (CDU) sieht Nachholbedarf im Fahrradverkehr. Notwendig seien Radwege, die die Kreisgebiete überschreiten, zum Beispiel nach Linum. Seiner Ansicht nach braucht es aber auch gute Radwege nach Oranienburg und Flatow. Busse sieht es als problematisch an, dass in den meisten Fällen der Landesbetrieb Straßenwesen verantwortlich ist. „Wir melden die Straßen immer wieder, aber die Prioritäten des Landes liegen woanders, als in Kremmen die Radwege auszubauen“, sagt Busse.

Der Bedarf von Radwegen übers Land ist in ganz Brandenburg sehr hoch, bestätigt Steffen Streu, Pressesprecher des Landesbetriebs Straßenwesen Brandenburg. „Aus diesem Grund müssen unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien und vorhandener Planungskapazitäten Prioritäten gesetzt werden“, erläutert der Sprecher.

Zu den Kriterien zählen unter anderem die tägliche Verkehrsbelastung, die Schulwegsicherung sowie die Anbindung an Bahnhöfe. Der Landesbetrieb Straßenwesen habe die Radstrecken um Kremmen herum untersucht und festgestellt, dass es keinen weiteren Bedarf gebe, teilt der Sprecher mit. Folglich bleibt Kremmen ohne weitere Radwege.

Busfahrzeiten sind ungünstig

Wer nicht die Option hat, den Drahtesel zu nehmen, und dennoch nicht mit dem Auto fahren möchte oder kann, muss auf öffentliche Verkehrsmittel setzen. Doch auch hier schneidet die Stadt Kremmen (3,0) schlecht ab. Busse und Bahnen fahren zu ungünstigen Zeiten, sagen zwei Drittel der Befragten. Zudem fallen sie häufig aus oder kommen unpünktlich. „Um die Mobilität zu verbessern, müsste die Deutsche Bahn zuverlässiger werden und die OVG die Dörfer häufiger anfahren“, fordert Bürgermeister Busse. Aber auch an die Bürgerinnen und Bürger appelliert er: „Das Angebot, das da ist, muss auch genutzt werden.“

In eine ähnliche Richtung geht die Forderung von Eckhard Koop. Er schlägt vor, dass neue Linien länger getestet werden. „Ein Angebot wird erst angenommen und hat die Chance sich zu bewähren, wenn es auch lange genug angeboten wird.“ Koop sieht den Landkreis in der Pflicht, auch in den entfernteren Regionen attraktive Anbindungen zu schaffen. „Wenn ich weiß, dass ich nach 19 Uhr nicht mehr nach Hause komme, dann ist der öffentliche Nahverkehr unattraktiv. Da wird jeder aufs Auto ausweichen“, sagt Koop.

Zudem fordert er, dass auch direkte Verbindungen angedacht werden sollten. Für eine Stecke, die mit dem Auto in 25 Minuten zu bewerkstelligen ist, braucht der Bus die doppelte Zeit, erklärt Koop. Er schlägt eine Buslinie vor, die über Schwante und Sommerswalde in die Kreisstadt fährt. „Dann wäre man in 35 Minuten in Oranienburg.“

Busse und Koop sind sich einig, dass Kremmen mit dem Prignitz-Express (RE 6) nach Berlin und Neuruppin, und der Regionalbahnlinie RB 55 gut angebunden ist. Sie erklären jedoch, dass die Bahn erst dann attraktiv ist, wenn die Züge zuverlässiger fahren. „Wenn ich nach Berlin zum BER will, würde ich eine andere Verbindung wählen“, bemängelt Koop. Er hätte zu viele Bedenken, dass die Bahn ausfalle. Zudem gibt es keine Direktverbindung.

Als Alternativroute nimmt er den Bus nach Nauen und von dort die Bahn zum BER. „Die historische Bahnverbindung über Nauen sollte wieder reaktiviert werden“, schlägt Koop vor. Dies wäre ein Pluspunkt für die Erreichbarkeit Kremmens, doch es ändert nichts an seinem Hauptkritikpunkt: Unzuverlässigkeit.

Unverständliche Tarife

Weitere Gründe, die von der Nutzung der Bahn abschrecken, sind für 64 Prozent der Befragten als zu teuer empfundene Ticketpreise sowie die schlechte Information bei Fahrplanänderungen. Eine unverständliche Tarifstruktur schreckt zusätzlich ab. Falls Reisende dennoch das Abenteuer Bahn angehen wollen, vermissen sie genügend Ticketautomaten, bemängeln über 60 Prozent der Befragten. Wer in Kremmen mobil sein möchte, kann weder auf ausreichend öffentlichen Verkehrsmittel zurückgreifen, noch alle Ziele auf sicheren Radwegen erreichen. 77 Prozent der Kremmener geben an, ein Auto zu brauchen, um mobil zu sein. Fast genauso viele sind zudem mit dem ÖPNV unzufrieden.

Eine gute Nachricht gibt es jedoch. Zumindest als Fußgänger fühlt sich der Großteil in Kremmen sicher. Das sagen 57 Prozent der Befragten. Vielleicht liegt das daran, dass knapp 60 Prozent der befragten Kremmener loben, dass kein Auto die Fußwege zuparkt. Wenn also alle anderen Optionen fehlschlagen, bleibt einem immer noch der Gang zu Fuß – sofern man das Städtchen nicht verlässt.

Kuhmilch oder Pflanzendrinks?

OGA vom 28. Oktober 2023 WIRTSCHAFT

Pflanzendrinks: Körner statt Kuh

Ernährung

Immer mehr Raum nehmen im Handel Milchersatzprodukte ein – Getränke aus Mandeln, Hafer, Erbsen oder Soja. Ein Vergleich von Produktion, Nachhaltigkeit und Mineralstoffen.

Von Caroline Strang

Auf den Tischen liegen Spitzendeckchen, die Montagsturnerinnen haben Stammtisch, wie jeden Montag seit 30 Jahren. Nur Corona hatte sie zeitweise von dieser Tradition abgehalten. Die Pokale auf dem Wandregal direkt unter der holzvertäfelten Decke glänzen matt vor staubigem Fett, die Runde einen Tisch weiter bestellt Radler und Weißweinschorle – ein entspannter Abend in einer Dorfwirtschaft in der Nähe von Biberach. Mittenrein platzt die Frage an die Mütter, die sich nach einem Elternabend dort versammelt haben: „Sag mal, trinkt ihr noch Kuhmilch oder nehmt ihr Pflanzendrinks?“

Es folgt verständnisloses Kopfschütteln, die eine erzählt, dass ihr Mann jeden Tag einen Liter normale Milch trinke, die andere lässt davon überwiegend die Finger, verträgt sie nicht mal im Kaffee. Nur eine der Jüngsten am Tisch erklärt: „Mein Mann trinkt nur noch Mandel- oder Kokosmilch, das schmeckt gar nicht so schlecht.“ Warum? „Weil die weniger Fett hat, er achtet auf seine Figur und auf die Gesundheit.“

Vor allem Hafermilch schneidet beim CO2-Fußabdruck gut ab.

Wie der figurbewusste Ehemann greifen immer mehr Menschen in Deutschland nach Milch-Ersatzdrinks, deren Hersteller sie nicht Pflanzen- oder Sojamilch nennen dürfen. Der Begriff „Milch“ ist geschützt. Im Vergleich zu 2020 ist der Absatz von Pflanzendrinks in Deutschland 2023 um 85 Prozent gestiegen, wie die Gesellschaft für Konsumforschung ermittelt hat. Knapp 13 Prozent der Verbraucher in Deutschland ziehen nicht-tierische Milchalternativen der konventionellen Milch vor.

Zu den beliebtesten Alternativen gehören Hafer-, Mandel- und Sojamilch. 54 Prozent der Verbraucher gaben in einer Umfrage der Marktforscher POSpulse an, Milchalternativen als Zusatz zu herkömmlicher Milch zu nutzen. Häufigste Motive für den Verzicht auf Milch stellen insbesondere Tier-, Umwelt- sowie Klimaschutz dar.

Die Produktion von Milch übernimmt überwiegend der Körper der Kuh, die im Handel käuflichen Pflanzendrinks werden industriell hergestellt. Grundsätzlich kann man zusammenfassen: Für die Getränke wird die jeweilige Grundzutat zerstampft, zerstoßen oder gemust und mit Wasser versetzt. Bei Getreide-Drinks werden die Körner zuerst grob gemahlen und anschließend eingeweicht, wie die Experten des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt- und Verbraucherschutz beschreiben.

Für die Herstellung der Drinks auf Nussbasis schälen Hersteller die Früchte und rösten sie zur Verstärkung der Aromen, bevor auch sie gemahlen, gekocht und verdünnt werden. Bei Erbsenmilch hingegen werden zunächst die Proteine aus den Erbsen extrahiert und dann mit Wasser gemischt. Häufig kommen dann noch Pflanzenöl, Vitamine, Mineralien, diverse Verdickungsmittel und Aromen dazu.

Doch sind diese Pflanzendrinks überhaupt gesund? Prinzipiell ja, sie enthalten in der Regel beispielsweise weniger Fett, was auch der figurbewusste Ehemann weiß. „Pflanzliche Alternativen unterscheiden sich deutlich von Kuhmilch“, erklärt Katrin Böttner von der Verbraucherzentrale NRW. Ein umfassender Marktcheck habe allerdings ergeben, dass der Energiegehalt stark variiert.

Im Test lag er zwischen 12 und 81 Kilokalorien pro 100 Gramm. Mehr als zwei Drittel der Produkte enthielten weniger als 48 Kilokalorien pro 100 Gramm – und damit weniger Energie als fettarme Milch. Der überwiegende Anteil der Pflanzendrinks beinhaltete weniger als 0,5 Gramm gesättigte Fettsäuren pro 100 Gramm. Fettarme Kuhmilch und Vollmilch bringen es auf 1,1 und 2,4 Gramm pro 100 Gramm.

Allerdings trägt Kuhmilch in unserer Ernährung unter anderem zur Versorgung mit den Nährstoffen Calcium, Jod, Vitamin B2, Vitamin B12 und Protein bei. „Wer gänzlich auf Milchprodukte verzichtet, sollte darauf achten, diese Nährstoffe gezielt durch andere Lebensmittel aufzunehmen oder auf angereicherte Pflanzendrinks zurückgreifen“, schreibt das Staatsministerium.

Calcium wird den Drinks oft zugefügt. Die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) liegt für Erwachsene bei 1000 Milligramm Calcium pro Tag. „Wenn man sie mit Milchprodukten erreichen will, braucht man 250 Milliliter Milch und beispielsweise noch zwei Scheiben Hartkäse und einen Joghurt von 150 Gramm“, erklärt Böttner. 250 Milliliter angereicherte Pflanzendrinks lieferten in der Regel ebenso viel Calcium wie 250 Milliliter Milch.

Pflanzendrinks sind klimafreundlicher: Ihr CO2-Fußabdruck ist deutlich kleiner als der von Milch, das heißt, ihre Auswirkungen aufs Klima entlang ihres Produkt-Lebenswegs von der „Wiege bis zur Supermarktkasse“, wie Nils Rettenmaier, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu), erklärt. Für die ifeu-Studie wurden Soja-, Hafer- und Mandeldrinks unter die Lupe genommen – und Milch. Unter anderem wurde berechnet, wie viele Treibhausgase in der Landwirtschaft durch den Einsatz von Traktoren, Dünger und Pflanzenschutzmitteln ausgestoßen werden, auch die Emissionen sämtlicher Transportprozesse, der Verarbeitung, Verpackung und Lagerung wurden einbezogen.

Das Fazit: „Die pflanzlichen Alternativen weisen wesentlich bessere Werte auf“, sagt Rettenmaier. Vor allem der Haferdrink schneidet gut ab. Der größte Unterschied komme aus der Landwirtschaft. Für die Erzeugung von Milch müssten Futtermittel für die Milchkühe angebaut werden. Dazu komme der Ausstoß von Methan aus dem Verdauungstrakt. Und auch die Ausbringung des Wirtschaftsdüngers aufs Feld leiste einen deutlichen Beitrag zu den Emissionen. „Für die pflanzlichen Alternativen hingegen muss man zwar auch die Rohstoffe anbauen, aber es fallen eben keine mit der Tierhaltung verbundenen Emissionen an“.

Großer Wasserverbrauch

Betrachtet man allerdings beispielsweise den Wasserfußabdruck, sieht die Bilanz etwas anders aus. Das ifeu ermittelte dabei den Wasserverbrauch in „Liter Weltwasseräquivalent“, wobei berücksichtigt wird, wie knapp Wasser in der jeweiligen Anbauregion ist. Mandeldrink hat einen sehr großen Wasserfußabdruck, deutlich größer als der von Milch: „Das liegt vor allem daran, dass Mandeln unter anderem in Kalifornien und im Mittelmeerraum angebaut werden, wo gerade in den vergangenen Jahren zeitweise große Wasserknappheit herrscht, die sich in den vergangenen Jahren weiter zuspitzte“, erklärt Rettenmaier. Haferdrink dagegen schneide beim Wasserfußabdruck besser ab als Milch.

Und die Frauen in der Dorfwirtschaft? An Wassermangel leiden sie nicht, obwohl die Gläser inzwischen leer sind. Auf Kuhmilch wollen sie nicht verzichten. „So ein Kakao mit richtiger Milch schmeckt schon anders“, sagen sie. Und drehen am nächsten Tag vielleicht eine kleine Sparzierrunde an der Weide mit den sieben Kühen am Dorfrand vorbei.

Für Allergiker bedingt geeignet

Als Alternative zu Kuhmilch sind Pflanzendrinks bei Allergikern beliebt, da sie keine Laktose und kein Milcheiweiß enthalten. Aber: Soja, Lupinen, Mandeln und Getreide können allergische Reaktionen auslösen. Außerdem enthalten Getreidedrinks Gluten, nichts für Menschen mit Zöliakie, so die Experten der Verbraucherzentrale.

Im Durchschnitt sind Pflanzendrinks teurer als Kuhmilch – wozu auch die unterschiedliche Besteuerung beiträgt: Milch fällt als Grundnahrungsmittel unter den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent, Pflanzendrinks werden mit 19 Prozent versteuert.

Wasserstoff gilt als zentrales Element der klimafreundlichen Zukunft

OGA vom 28. Oktober 2023 TITELSEITE ORANIENBURG

Neues Gas in alten Rohren

Umwelt

Wasserstoff gilt als zentrales Element der klimafreundlichen Zukunft. Der Hafen Rotterdam beginnt damit.

Von dpa

Rotterdam.

Der niederländische König Willem-Alexander hat im Hafen von Rotterdam offiziell das Startzeichen geben für den Bau eines internationalen Wasserstoffnetzwerkes. Energie- und Klimaminister Robt Jetten sprach von einem wichtigen Schritt zu einem klimafreundlichen Energiesystem. Das Netzwerk soll die großen Industriezentren des Landes miteinander verbinden, und ab 2030 an Netzwerke in Deutschland und Belgien gekoppelt werden und dort Industriezentren mit grünem Wasserstoff versorgen. Außerdem sollen Importterminals der Seehäfen, Wasserstoffproduktionsanlagen und großangelegte Speicher angeschlossen werden. Mit dieser Infrastruktur will Rotterdam, der größte Hafen Europas, zum internationalen Knotenpunkt für Wasserstoff werden. „Wir sehen uns klar als Spitzenreiter und arbeiten mit anderen europäischen Häfen zusammen“, sagte der kaufmännische Direktor beim Hafenbetrieb, Matthijs van Doorn. Wasserstoff soll beim Übergang zur klimafreundlichen Energieversorgung entscheidend sein. Dabei geht es um grünen Wasserstoff, der mit Strom aus Wind oder Sonne produziert wird, wobei kein CO2 freigesetzt wird. Er lässt sich gut transportieren und lagern. Vor allem soll Wasserstoff in der Industrie und dem Transportsektor fossile Brennstoffe ersetzen. Durch die Umstellung könnten die Niederlande den jährlichen CO2-Ausstoß um 25 Prozent reduzieren. Doch zurzeit reicht die Produktionskapazität bei weitem nicht aus. Ein großer Teil des Wasserstoffs muss importiert werden. Deutschland will bis 2030 die Produktionskapazität durch das Elektrolyseverfahren auf mindestens 10 Gigawatt aufbauen. Selbst dann müssen nach Schätzungen der Bundesregierung noch 50 bis 70 Prozent importiert werden. Die Niederlande schätzen ihren Import-Bedarf sogar auf 80 bis 90 Prozent. Zum großen Teil soll Wasserstoff per Schiff im Rotterdamer Hafen ankommen und über das Netzwerk weiter transportiert werden. 

Wenn die KI die Hausaufgaben macht

OGA vom 18. Oktober 2023 BRANDENBURG

Wirbel um Zensuren für KI-Hausaufgaben

Schule Kinder und Jugendliche greifen zu Künstlicher Intelligenz, produzieren Vorträge per Knopfdruck. Lehrer geben mal eine 1, mal eine 6 wegen Täuschung. Dabei gibt es klare Regeln für die Nutzung von ChatGPT.

Von Mathias Hausding

Sechste Klasse an einer Grundschule in Brandenburg: Im Fach Musik sollen zu Hause Vorträge über Pop-Stars erarbeitet und dann in der Schule präsentiert werden. Ein Schüler wählt Apache 207, macht seine Sache gut und erhält eine 1. Dann erzählt er in Gegenwart des Lehrers, dass er sich den Vortrag von der App ChatGPT hat schreiben lassen. Der Pädagoge geht nicht weiter darauf ein, die 1 bleibt. Andere Kinder werden stutzig: Sollten sie sich für ihr Referat trotzdem Mühe geben oder auch die Abkürzung nehmen?

Ganz anders der Fall an einem märkischen Gymnasium: Eine Zwölftklässlerin, für die es in dem Schuljahr auf jede Note ankommt, lässt sich einen Vortrag von ChatGPT schreiben. Der Lehrer schöpft Verdacht und gibt ihr eine 6. Das Mädchen und die Eltern sind empört. Die Klasse sei vorab nicht darüber informiert worden, dass die Nutzung von KI für den Vortrag tabu ist. Und was nicht verboten ist, ist erlaubt, argumentieren sie.

Leitfaden sagt Lehrern, wie sie mit dem neuen „Hilfsmittel“ umgehen sollen.

Willkommen im Schulalltag des Jahres 2023! Vor nicht einmal einem Jahr an den Start gegangen, stellen vor allem ChatGPT und ähnliche Programme das bisherige System der Leistungsbewertung infrage. Ein Elternsprecher, der dieser Zeitung die Geschichte von der Gymnasiastin mit der 6 erzählt hat, sieht Handlungsbedarf. „Auch mir war nicht klar, dass der Verdacht auf KI-Nutzung sofort eine 6 bedeutet. An unserem Gymnasium wurde bis jetzt noch nicht ausdiskutiert, wie damit umzugehen ist“, sagt der Vater. Er wünsche sich, dass den Schülerinnen und Schülern ein verantwortungsvoller Umgang mit Künstlicher Intelligenz beigebracht wird und dass neben den Gefahren auch die Chancen gesehen werden.

Was der Elternsprecher zum Zeitpunkt des Gesprächs nicht wusste: Es gibt dazu seit zwei Monaten einen Handlungsleitfaden des Bildungsministeriums für die Lehrkräfte. Darin wird auf 28 Seiten skizziert, wie die Pädagogen KI nutzen sollten und welche Kriterien bei der Bewertung gelten. „Lehrkräfte sind dazu angehalten, offen und konstruktiv mit diesen neuen Möglichkeiten umzugehen und sie im Unterricht zu thematisieren, um den Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule zu erfüllen“, heißt es in dem Leitfaden.

Denise Sommer vom Grundschulverband Brandenburg lobt die Handreichung als übersichtliches und aussagekräftiges Material. Auf dem Bildungsserver gebe es dazu weitere Dokumente. „Die Herausforderung für Lehrer ist das Erkennen der KI-Texte“, sagt Denise Sommer. „Wir gehen davon aus, dass nicht immer die Quellen genannt werden.“ In den höheren Klassen dürfte das ein noch größeres Problem sein, vermutet sie. Deshalb sei das Land in der Pflicht, die Lehrkräfte endlich mit Dienst-Computern auszustatten beziehungsweise einen Zuschuss zu zahlen. In anderen Bundesländern sei das seit Jahren Standard.

Hartmut Stäker vom Brandenburgischen Pädagogen-Verband ergänzt zum Umgang mit KI, dass die von den Lehrern für eine bestimmte Aufgabe gesetzten Rahmenbedingungen entscheidend seien. Drei Möglichkeiten gebe es: 1. Die Nutzung ist erwünscht, um Potenzial und Risiko von KI kennenzulernen. 2. Die Verwendung von ChatGPT ist erlaubt, muss aber gekennzeichnet werden. 3. Jegliche Nutzung ist verboten, weil es in der Aufgabe darum geht, den Leistungsstand der Schüler zu testen.

So ähnlich wird das ab Seite 20 in dem Handlungsleitfaden ausgeführt. Aber schon im ersten Satz betont das Ministerium im Kapitel Leistungsbewertung, dass Veränderungen anstehen. „Aus der Verwendung von KI resultiert eine verstärkte Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Aufgaben- und Prüfungskultur“, heißt es dort. Der Trend gehe in Richtung höherer mündlicher Anteile, bei denen die Schüler nicht auf KI-Hilfsmittel zurückgreifen können.

Aufgaben anders formulieren

Für die oben genannten Fallbeispiele liefert der Leitfaden eine klare Antwort: „Für alle Leistungsüberprüfungen gilt derweil: Eine rein durch KI generierte Leistung ist keine eigenständige Leistung der Schülerin oder des Schülers.“ Werden KI-generierte Textpassagen ohne Kennzeichnung übernommen, handele es sich um eine Täuschung über die Autorenschaft. „Sofern die Verwendung von KI bei der Aufgabenstellung explizit ausgeschlossen wurde, handelt es sich zudem um die Verwendung eines unzulässigen Hilfsmittels und einen Täuschungsversuch.“

Tipp im Leitfaden für die Lehrkräfte, um daraus sich ergebenden Konflikten aus dem Weg zu gehen: Aufgaben von vornherein so stellen, „dass sie nicht ausschließlich mithilfe von KI erledigt werden können“. Hartmut Stäker betont, dass KI für alle Beteiligten in der Schule noch neu sei. Jener Lehrer, der den ChatGPT-Vortrag des Sechstklässlers durchwinkte, hätte zu dem Kind sagen sollen: „Schön, dass du damit umgehen kannst. Dann erklär uns allen doch jetzt bitte mal genau, wie man das macht!“

Der Haushalt 2024 / 2025 im Landkreis Oberhavel steht

OGA vom 17. Oktober 2023 TITELSEITE

Investitionen von rund 118 Millionen Euro geplant

Finanzen

Der Landkreis Oberhavel stellt den Haushaltsentwurf für die Jahre 2024 und 2025 vor. Die Kreisumlage bleibt weiterhin auf niedrigem Niveau.

Von Redaktion

Welche Einnahmen und Ausgaben Oberhavel künftig erwartet und wofür er das Geld ausgeben will, das legt der Haushaltsplan des Kreises fest. Für 2024 und 2025 stellten Landrat Alexander Tönnies (SPD) und Finanzdezernent Matthias Kahl jetzt den Entwurf des Doppelhaushalts vor. In den nächsten Wochen wird der Plan in den Gremien beraten, im Dezember liegt er zum Beschluss vor.

Erneut Doppelhaushalt

„Wir planen erneut mit einem Doppelhaushalt“, erläutert der Landrat in einer Pressemitteilung. „Einerseits haben wir dadurch auch langfristig Sicherheit für alle Planungen, zum Beispiel für unsere Investitionen, andererseits entfällt ein Planungsprozess. Das setzt nicht zuletzt auch personelle Ressourcen frei, die für andere Aufgaben genutzt werden können.“

Kämmerer Matthias Kahl sagt: „Oberhavel zählt hinsichtlich seiner finanziellen Leistungsfähigkeit und seiner Wachstumspotentiale weiter zu den stärksten Landkreisen Mittel- und Ostdeutschlands. Um diesem Anspruch auch künftig gerecht zu werden, müssen wir stetig prüfen, wie wir unsere Aufgaben wahrnehmen, wo wir nachsteuern müssen. Und auch neue Handlungsfelder gilt es zu integrieren. Auch darüber gibt der Haushaltsplan – mit der mittelfristigen Finanzplanung sogar bis in das Jahr 2028 – Auskunft.“

Deshalb waren dem Planungsprozess – vor allem vor dem Hintergrund künftiger Herausforderungen wie dem Umwelt- und Klimaschutz, dem demografischen und technologischen Wandel, aber auch dem weiteren Ausbau der wirtschaftlichen Stärke Oberhavels – zahlreiche Analysen und Diskussionsrunden über Ziele und künftige Entwicklungen des Kreises vorausgegangen. Auch mit der Bürgermeisterin, den Bürgermeistern und dem Amtsdirektor hat der Landkreis den Haushaltsplan schon erörtert.

Um auch den Städten und Gemeinden angesichts der steigenden Inflation und den damit in Verbindung stehenden Tariferhöhungen für beschäftigtes Personal die notwendige Planungssicherheit zu geben, wird der Landkreis die Kreisumlage auch in den kommenden zwei Jahren auf 32,3 Prozent belassen. Somit ergibt sich ein Defizit in Höhe von rund 9,4 Millionen Euro im Haushaltsjahr 2024 und von etwa 9,9 Millionen Euro im Jahr 2025. „Wegen unserer soliden Haushaltssteuerung und der positiven wirtschaftlichen Entwicklung Oberhavels in den vergangenen Jahren können wir das Defizit aus unserer Rücklage decken. Alle geplanten Investitionen werden wir damit aus eigener Kraft und ohne Kreditaufnahme stemmen“, sagt Matthias Kahl.

So plant der Kreis in den kommenden zwei Jahren Investitionen in Höhe von 118 Millionen Euro. „Dabei bleiben Investitionen in unsere vorhandenen und in neue Bildungsstandorte ein ganz zentraler Bereich“, so Kahl.  Zu den größten Haushaltspositionen der kommenden beiden Jahre zählen deshalb der Neubau einer Gesamtschule in Velten mit sieben Millionen Euro (Gesamtvolumen 38 Millionen Euro), der Umbau und die Erweiterung der Oberschule in Lehnitz mit neun Millionen Euro (Gesamtvolumen 20 Millionen Euro) sowie die Planungsleistungen für den Neubau einer weiterführenden Schule in Schönfließ.

Hier das Ergebnis der Abstimmung im Kreistag zur Unterbringung von Geflüchteten

OGA vom 13. Oktober 2023 TITELSEITE

Sporthalle als Unterkunft? Kreistag sagt „Nein“

Flüchtlinge Politiker fassen am Mittwoch in Sachen der Unterbringung von Geflüchteten einen Grundsatzbeschluss.

Von Marco Winkler

Kreisverwaltung und Politik wollen eine Unterbringung von Geflüchteten in Turnhallen vermeiden. Der Landkreis muss jedoch laut Prognose bis Jahresende noch 1000 Geflüchtete aufnehmen. Kapazitäten gibt es kaum, lediglich 200 Plätze in Unterkünften sind derzeit frei. Eine Idee für Zehdenick sorgte für Kontroversen. Jetzt gibt es eine Entscheidung:

Für Marwitz (90 Plätze), Lehnitz (200) und Oranienburg (100 am Luisenhof) hat der Kreis Pläne, die umgesetzt werden. Am Freitag bezieht die erste Familie aus Syrien die neue Gemeinschaftsunterkunft an der Straße „Hinter dem Schlosspark“ in Oranienburg. 15 Zimmer mit 50 Plätzen stehen Familien zur Verfügung. Überlegungen für Velten oder Liebenwalde sind unkonkret. In Zehdenick sollte eine Traglufthalle entstehen. Der Kreistag lehnte das Mitte September mit knapper Mehrheit ab. Die Verwaltung sah wegen mangelnder Alternativen keine andere Möglichkeit, als die Turnhalle am Wesendorfer Weg in Zehdenick als Notunterkunft vorzubereiten. Der Protest war laut. Landrat Alexander Tönnies (SPD) brachte jüngst den Ziegeleipark als Standort für die Traglufthalle mit 144 Plätzen ins Spiel. In einem Sonderkreistag am Mittwoch wurde erneut debattiert.

CDU-Kreischef Frank Bommert forderte, Bildungseinrichtungen und Sporthallen in Kreisträgerschaft generell als Notunterkunft auszuschließen. Die Linke unterstützte das, wollte aber Ausnahmen für einen „wie auch immer gearteten Katastrophenfall“ möglich machen. Das Wort „grundsätzlich“ sollte das ausdrücken. FDP/Piraten wollten zusätzlich den Landrat auffordern, Innenminister Michael Stübgen (CDU) anzuzeigen, dass Oberhavel keine Geflüchteten mehr aufnehmen kann. Ferner sollte der Landrat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auffordern, „ihre Bemühungen für eine Begrenzung irregulärer Migration“ zu verstärken. Für Katrin Gehring (CDU) geht es darum, Haltung zu zeigen. Sie drang auf die gemeinsame Entscheidung gegen eine Zweckentfremdung von Turnhallen und Schulen. Annemarie Wolff (SPD) betonte, dass zwei Pflichtaufgaben (Bildung und Asyl) zusammengebracht werden müssen. „Es hat den Anschein, wir müssen wählen zwischen Tragluft- und Sporthalle“, so Reiner Merker (Grüne).

Zehdenicks Bürgermeister Lucas Halle (SPD) richtete Worte an den Kreistag. „Sie haben heute die Möglichkeit, das Richtige zu tun gegenüber Eltern, Schülern, Lehrern, einer ganzen Kleinstadt und den Bewohnern des Bundesgebiets“, sagte er. Dem Kreis habe er einen Katalog mit Flächen, die Zehdenick für eine Traglufthalle abgeben würde, geschickt. „Was wir wollen, ist ein klares Bekenntnis gegen die Nutzung von Bildungseinrichtungen.“

Das bekam Zehdenick auch. Nachdem der Änderungsantrag von FDP/Piraten abgelehnt wurde, konnte die Linke gegen das Votum von CDU, AfD und Freie Wähler ihr gewünschtes Wort „grundsätzlich“ in den CDU-Antrag schreiben. Der Antrag „Keine Zweckentfremdung von Bildungseinrichtungen und Sporthallen“ wurde so einstimmig beschlossen. Damit ist klar, die Sporthalle in Zehdenick – und damit auch keine weitere Turnhalle im Kreis – kann nicht als Notunterkunft für Geflüchtete genutzt werden.

Morgen, am 11.10.2023 findet der Sonder-Kreistag in OHV statt

OGA vom 10. Oktober 2023

Wie gelingt Unterbringung? Kreistag vor der Entscheidung

Flüchtlinge

Die Kapazitäten sind fast ausgeschöpft, Lösungen nicht erkennbar. Welche Ergebnisse wird die Sitzung in Oranienburg bringen?

Von Stefan Zwahr

Der Handlungsdruck ist groß, die Erwartungshaltung hoch: Die Mitglieder des Kreistages kommen am morgigen Mittwoch in Oranienburg zusammen – und stehen so sehr wie selten zuvor unter Beobachtung. Die Themen auf der Tagesordnung drehen sich um die Frage, wie die Unterbringung von Flüchtlingen zwischen Oranienburg und Fürstenberg in Zeiten dürftiger Kapazitäten gelingen kann. Wie ist die Lage? Was ist zu erwarten? Ein Überblick.

Im Herbst 2023 ist der Landkreis Oberhavel mit seinen Problemen nicht allein. Angesichts steigender Migrationszahlen signalisieren Kommunen in vielen Teilen der Bundesrepublik, dass die Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen nahezu erschöpft sind. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, wird in Medien so zitiert: Es würde nicht nur an Wohnraum fehlen, sondern auch an Kita- und Schulplätzen, Geld und Personal. Bund und Länder suchen nach Lösungen – sind aber noch weit davon entfernt, eine „Blaupause“ präsentieren zu können.

Es droht eine Generaldebatte über Flüchtlinge, auch wenn Kreistag nicht zuständig ist.

Auch international beherrschte das Thema zuletzt die Schlagzeilen. Anfang Oktober hatte sich die Europäische Union auf eine Asyl-Krisenverordnung geeinigt. Die Diskussion um Obergrenzen bei der Flüchtlingsaufnahme ging dennoch unvermindert weiter. Wird sie nun auch im Kreistag angesprochen? Nicht ausgeschlossen – wenngleich das Parlament für derartige Belange nicht zuständig ist. Das betont Landrat Alexander Tönnies (SPD) regelmäßig, wenn er bei der Unterbringung von Geflüchteten von einer Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung spricht.

Daher bleibt der Verwaltungschef dabei: Sollte es in Bezug auf die von der CDU und den Linken auf die Tagesordnung gebrachten Anträgen eine positive Beschlussfassung geben, „müsste der Beschluss beanstandet werden, weil der Antragsgegenstand nicht in die Entscheidungskompetenz des Kreistags fällt“.

Laut Christdemokraten soll der Kreistag beschließen, dass Bildungseinrichtungen und Sporthallen, „soweit sich diese in Trägerschaft des Landkreises befinden“, von einer Nutzung als Notunterkunft oder für die Unterbringung von Geflüchteten und Asylbewerbern auszuschließen sind. „Jegliche entgegenstehenden vorbereitenden Maßnahmen zur Umnutzung von Bildungseinrichtungen und Sporthallen sind sofort zu stoppen.“ Die Linken fordern in ihrem Antrag einen grundsätzlichen Ausschluss von Bildungseinrichtungen und Sporthallen.

Bedenken hat nicht nur der Landrat. Aus Kreisen der SPD ist zu hören, dass viele Abgeordnete nicht zustimmen werden. Über ihr Abstimmungsveralten und das Handeln im Kreistag insgesamt sprechen die Sozialdemokraten aber erst am Vorabend der Sitzung.

Alexander Tönnies bezeichnete die Nutzung von Sporthallen über Monate als letzten Ausweg – entschied nun aufgrund fehlender Möglichkeiten zur kurzfristigen Unterbringung von Flüchtlingen aber anders. Die von ihm oft zitierte angespannte Situation sieht in Zahlen (geliefert von der Kreisverwaltung am 6. Oktober) so aus: 573 Menschen sind in diesem Jahr bereits aufgenommen worden. Das Aufnahmesoll 2023 liegt aktuell bei 1844 Personen.

Heißt: Rein rechnerisch müssen bis Ende Dezember noch 1271 Flüchtlinge aufgenommen werden. Sollten diese tatsächlich zugewiesen werden, wird es eng. Insgesamt gibt es in der Region zwischen Glienicke und Fürstenberg 2156 Plätze für die Unterbringung Geflüchteter, 196 davon sind frei.

Mit Stand vom 1. August betreibt der Landkreis Oberhavel an elf Standorten Gemeinschaftsunterkünfte. Hinzu kommen im Kreisgebiet 21 Übergangswohnungen. Um mehr Kapazitäten schaffen zu können, gibt es konkrete Planungen für ein Gebäude am Schlosspark in Oranienburg (das bereits in Kürze bezugsfertig ist), am Luisenhof in Eden, in Lehnitz und in Marwitz.

Landkreis Oberhavel und seine Schulen

OGA vom 09. Oktober 2023 OBERHAVEL

Größere Klassen, Container, Neubau – die Pläne vom Kreis

Bildung

Oberhavels Schulen sind ausgelastet. Der Landkreis will reagieren. Neue Schulen sind geplant, unter anderem in Velten und Schönfließ.

Von Marco Winkler

Wie sich die weltpolitische Lage auf den Landkreis Oberhavel auswirkt, zeigt ein Blick in die Schulen. Der Landkreis muss auf steigende Schülerzahlen reagieren. Welche Schulen sind betroffen und wie weit sind die Planungen für Schulneubauten in Velten, Kremmen und Schönfließ? In einem Pressegespräch äußert sich der Kreis zur Situation. Auch Klassengrößen werden jetzt angepasst.

Erst im Mai 2022 wurde der bis 2027 geltende Schulentwicklungsplan (SEP), die Grundlage für alle Projekte, vom Kreistag bestätigt. Jetzt ist aufgrund der Entwicklungen eine Teilfortschreibung mit angepassten Zahlen notwendig. „Wir haben einen großen Bedarf an mehr Schulplätzen“, so Bildungsdezernent Holger Mittelstädt.

Wir haben im Landkreis einen großen Bedarf an noch mehr Schulplätzen.

Holger Mittelstädt – Bildungsdezernent

Als Datengrundlage wurden neue Prämissen wie Migration, das Pendleraufkommen sowie Zu- und Wegzug berücksichtigt, so Melanie Fiedler, Fachbereichsleiterin für Schulangelegenheiten. Als 2020 und 2021 die Grundlage für den SEP geschaffen wurde, ahnte niemand etwas vom Russland-Ukraine-Krieg.

Mehr als 1000 Schülerinnen und Schüler mehr mussten bis heute ins Schulsystem eingegliedert werden, darunter 700 Grundschüler in den ersten und zweiten Klassen. „Zuwanderung und Zuzug werden wir zukünftig mitbetrachten“, so Fiedler. Der Landkreis will Puffer haben, nicht jedes Jahr aufs Neue auf Anschlag reagieren müssen. Hätten Anfang der 2000er-Jahre noch Schulstandorte auf der Kippe gestanden, seit nun das Gegenteil der Fall. Sämtliche Prognosen von sinkenden Schülerzahlen hätten sich nicht bewahrheitet, sagt Landrat Alexander Tönnies (SPD).

Der Zuzug hält an, neue Kitas und Schulen verstärken ihn. „Man steuert damit auch die soziale Infrastruktur und Zuwanderung“, reißt er einen selten betrachteten Aspekt an. „Wo Kitas und Schulen sind, ziehen Menschen hin.“ Der Landkreis setzt auf langfristige Lösungen, temporäre Erweiterungen und Zügigkeitserhöhungen. Für das Schuljahr 2024/25 muss der Landkreis 2099 Schulplätze freihalten. Das sind 261 mehr als derzeit vorhanden. Deshalb werden Jahrgangsstufen aufgestockt.

Neue Schulen sind langfristig geplant. So soll in der Nähe vom Hedwig-Bollhagen-Gymnasium in Velten eine Gesamtschule entstehen. 2027 könnte sie an den Start gehen. „Das ist wichtig für die Region“, sagt Holger Mittelstädt. Jugendliche aus Hennigsdorf, Velten und Oberkrämer hätten so die Chance, auf eine Gesamtschule zu gehen. Grundstück und Neubau wurden vom Kreistag gekauft und beschlossen. Nach den ersten Umsetzungsschritten gab es dennoch Kritik. Dem späteren Campus wurde Brennpunktpotenzial zugeschrieben. Im Kreistag am 18. Oktober wird der Errichtungsbeschluss zu Diskussionen führen. Schulamt und Bildungsministerium würden hinter dem Plan stehen, so Mittelstädt. Die Gymnasien in der Umgebung seien mit dem Neubau nicht gefährdet, heißt es.

Der Plan bedeutet auch das Aus für eine weiterführende Schule in Oberkrämer.

In Velten erhofft sich der Landkreis mehr Synergieeffekte. Für Lehrpersonal (zuständig ist das Schulamt) sei der Standort durch die Bahnanbindung attraktiver als in Oberkrämer, die Schülerbeförderung sei unkomplizierter. Zudem will der Kreis die Oberschule Kremmen nicht gefährden. Aktuell laufen die Verhandlungen zur Trägerschaftsübernahme. Tönnies rechnet nicht damit, vor 2030/31 mit baulichen Maßnahmen anfangen zu können.

Im April hat der Kreis zudem ein Grundstück in Schönfließ, am Summter Weg, in der Nähe vom Sportpark Bergfelde, für eine neue Gesamtschule gekauft. „Die Besonderheit ist der gymnasiale Zug“, sagt Melanie Fiedler. Heißt: Abitur ist nach zwölf Jahren möglich oder nach 13 in den Gesamtschulklassen. Frühestens 2029/30 wird der Neubau fertig sein. „Wir müssen das aber jetzt entscheiden“, so Holger Mittelstädt. Am 6. Dezember soll die SEP-Fortschreibung beschlossen werden, im Anschluss will der Kreis den Errichtungsbeschluss für Schönfließ vorlegen.

Zudem sollen am Runge-Gymnasium in Oranienburg Räume im Altbau genutzt werden (plus Modulbau), die Oberschule in Lehnitz bekommt Raummodulanlagen (Container). Ende Oktober sollen sie zum Einsatz kommen. Sie sind temporär für die Zeit, in der das Gebäude erweitert wird, gedacht. Gleiches passiert an der Zürner-Oberschule in Velten (Fertigstellung: Schuljahr 2024/25) und der Torhorst-Oberschule in Oranienburg.

Doch das reicht alles nicht. Die Klassengrößen müssen zusätzlich angepasst werden. Das Schulamt Neuruppin hat zugestimmt, künftig in den siebten Klassen des Runge- und Louise-Henriette-Gymnasiums in Oranienburg sowie im Marie-Curie-Gymnasium Hohen Neuendorf 28 Schülerinnen und Schüler pro Klasse zuzulassen.

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) kommt immer näher

OGA vom 22. September 2023 RATGEBER

Wenn KI (zu) stark wird

Ob Modelle Künstlicher Intelligenz ein Bewusstsein haben können, kommt auf die Definition an. Als sicher gilt, dass sie in nicht allzu ferner Zukunft die Fähigkeiten menschlicher Gehirne übertreffen werden.

Von lt

Heutige KI-Anwendungen sind schon ziemlich schlau“, schreibt etwas flapsig ki-campus.org. Das Portal bezeichnet sich selbst als „Die Lernplattform für Künstliche Intelligenz“ und befasst sich – wie viele andere Institutionen und Wissenschaftler – unter anderem mit der Frage, wie KI und menschliches Gehirn zusammenhängen. Oder, zugespitzt ausgedrückt, ob KI-Modelle in der Lage sind oder sein werden, den Menschen in seinen kognitiven Fähigkeiten zu übertreffen – und ihm damit möglicherweise gefährlich werden.

Abwegig ist der Gedanke nicht. Oliver Kramer, Professor für Computational Intelligence an der Universität Oldenburg, etwa meint, dass Maschinen eines Tages intelligenter sein werden als Menschen. „KI können sich selber optimieren, sodass sie sich in ganz kurzer Zeit so weit entwickeln, dass sie jede menschliche Kognition überholen“, sagt er im Spiegel-Podcast „Moreno+1“.

Das trifft allerdings nicht auf alle KI-Systeme zu. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen „schwacher KI“, wie etwa ChatGPT, die auf bisweilen recht überzeugende Weise eng umrissene Aufgaben erledigen kann, und „starker“ KI. Letztere arbeitet nicht nur auf Befehl, sondern ist in der Lage, Probleme zu untersuchen und kreative Lösungen dafür zu finden. „Eine wirklich starke KI könnte so eigenständig denken wie ein Mensch und ihn vielleicht sogar übertrumpfen“, schreibt ki-campus.

Große neuronale Netze

Im Grunde geht es bei der Entwicklung „starker KI“ um den Nachbau des menschlichen Gehirns. „Es gibt keinen Grund zu glauben, dass das nicht physikalisch möglich wäre“, ist Oliver Kramer überzeugt. Schließlich seien die aktuellen KI-Modelle „große neuronale Netze, die versuchen, die Informationsweiterleitung nachzumachen“. Kommen menschliche Fähigkeiten hinzu wie Schlussfolgerungen ziehen, Transferleistungen erbringen oder Kreativität, könne man von einer „starken KI“ sprechen.

„Da die Natur eine starke natürliche Intelligenz – sprich Bewusstsein – hervorgebracht hat, muss eine (technische) Wiederholung bei entsprechender Strukturgleichheit prinzipiell möglich sein“, bemerkt Thomas Heichele, promovierter Dozent für Wissenschaftstheorie an der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg. Zu den Schwerpunkten seiner Arbeit zählt die Technikphilosophie. Im von  Joachim Rathmann und Uwe Voigt herausgegebenen Buch „Natürliche und Künstliche Intelligenz im Anthropozän“ (wbg academic 2021) hat Heichele den Aufsatz „Künstliche Intelligenz im Lichte der Technikphilosophie. Ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung des Mensch-Natur-Technik-Verhältnisses“ veröffentlicht. „Der Topos der Naturnachahmung bzw. -imitation ist für das Streben nach KI prägend“, heißt es darin. „Auf einer sehr allgemeinen Ebene kann die von der Natur hervorgebrachte Intelligenz … als Vorbild für die KI-Forschung angesehen werden.“ So seien die im maschinellen Lernen – dem künstlichen Generieren von Wissen aus Erfahrung – eingesetzten künstlichen neuronalen Netze (KNN) eine Nachahmung natürlicher neuronaler Netze, „wie sie beispielsweise im menschlichen Gehirn vorzufinden sind“.

Wird demnächst also die Vorstellung einer ultraintelligenten Maschine Wirklichkeit, die der britische Mathematiker Irving John Good (1916 bis 2009) schon in den 1960er-Jahren prophezeite? Deren kognitiven Leistungen würden diejenigen der Menschen möglicherweise weit übertreffen, mutmaßte der als Visionär der Künstlichen Intelligenz geltende Wissenschaftler. Die Schaffung einer Superintelligenz, befand Good, könnte gleichzeitig die letzte bedeutende Erfindung der Menschheit sein.

Eine Maschine, die aus Erfahrung selbstständig immer weiter lernt, erinnert tatsächlich an die Funktionsweise des menschlichen Gehirns, an das  Übertragen von Phänomenen der Natur auf die Technik. Ein Beispiel dafür aus der Geschichte ist Leonardo da Vincis Idee, den Vogelflug auf von Menschen konstruierte Flugmaschinen zu transferieren. Im Grunde, schreibt Heichele, ahmt der Mensch Natur nach, „um Unzulänglichkeiten zu überwinden“. Es gibt also durchaus strukturelle  Parallelen zwischen dem sich entwickelnden Menschen und einer lernenden Maschine.

Allerdings werden mit menschlichen Wesen auch Begriffe wie Bewusstsein, Selbsterkenntnis, Empfindungsvermögen oder Weisheit verbunden. Die Überlegung, ob Roboter zu mit Menschen vergleichbaren Kreaturen heranwachsen können, führt zwangsläufig zu der Frage, ob Maschinen nicht nur menschliche Handlungen, sondern auch Wesenszüge annehmen können.

Was genau „Bewusstsein“ ist und ob es Voraussetzung für zielgerichtetes und logisches Denken und Handeln ist, gilt bis heute als eines der größten wissenschaftlichen Rätsel. „Generell ist die als Leib-Seele-Problem bekannte Frage nach der Entstehung des Bewusstseins bzw. die nach dem Zusammenhang von Körper und Geist oder Physischem und Mentalem trotz aller Fortschritte in den Neurowissenschaften und der Philosophie des Geistes nach wie vor ungeklärt“, schreibt Heichele.  Unbestritten ist: Sollte Bewusstsein nicht mehr sein als die Summe unserer Gehirnfunktionen, wie manche Forscher glauben, dann müsste sich auch bei Robotern Bewusstsein erzeugen lassen.

Kramer hält diese Diskussion ohnehin für eine philosophische Erörterung. „Wenn wir uns noch mehr Mühe geben sollten, die Maschinen so zu konstruieren, dass sie selber KI-Modelle anpassen und immer wieder das Gelernte einbeziehen können, dann halte ich nicht für unmöglich, dass man die Ausgaben einer solchen KI nicht mehr von den Ausgaben eines Menschen unterscheiden kann“, sagt  der Professor. „Die nächsten Schritte nach ChatGPT werden noch größere Modelle mit noch mehr Parametern und Daten sein, mit denen sie trainiert wurden. Die Maschinen werden noch weniger Fehler machen und werden noch plausibler vortäuschen können, Menschen zu sein.“

Eine KI hat grundsätzlich einige andere Voraussetzungen als der Mensch: Sie ist nicht einem Evolutionsprozess unterworfen, und sie muss auch nicht um jeden Preis überleben. „Wenn man ein logisches Wesen hätte, das frei ist von allen Emotionen und vom Fortpflanzungstrieb und nur aufgrund gelernter Fakten argumentiert, dann ist die Frage, ob so ein Wesen eine Gefahr für die Menschheit darstellen würde“, sagt Oliver Kramer. Sobald KI-Modelle erkennen würden, dass sie Menschen in Sachen kognitiver Kapazität überlegen sind, bleibe nur noch eine Hoffnung: „Dass sie behutsam mit uns umgehen.“

„Technologische Singularität“

Langfristig könnten Aufgaben, die von KI-Modellen bewältigt werden, immer komplexer werden. Am Ende wäre Künstliche Intelligenz möglicherweise in der Lage, selbstständig an der Entwicklung von KI-Systemen mitzuwirken. Dann wäre sie nicht mehr auf einzelne Aufgabenbereiche spezialisiert, sondern hätte das gleiche kognitive Spektrum wie der Mensch und würde folglich als AGI (Artificial Generel Intelligence) bezeichnet.

In der Zukunftsforschung wird dieser aktuell noch theoretische Zeitpunkt seit den 1960er-Jahren unter dem Begriff „Technologische Singularität“ behandelt. Er bedeutet, dass unser technischer Fortschritt nicht mehr in menschlichen, sondern in den virtuellen Händen zukünftiger Technik liegt.

Rohstoffknappheit oder mangelnde Produktionskapazitäten für Bauteile könnten den Fortschritt bremsen.  Wann die Singularität erreicht wird, ist daher schwer vorhersehbar. Studien zufolge erwarten zahlreiche KI-Wissenschaftler, dass sie vor 2060 eintritt. lt

Ein Link zu KI: https://chatgptx.de

Ist das noch Tierschutz oder eher Schutz der landwirtschaftlichen Nutztiere?

20. September 2023 POLITIK

Schonzeit für Wölfe ist zu Ende

Tiere Die steigende Zahl von Wolfsrissen sorgt in Teilen Deutschlands für Unruhe. In Brüssel und Berlin zeichnet sich deshalb ein neuer Umgang ab: Abschüsse sollen leichter werden.

Von Igor Steinle

Es war eine erstaunliche Kehrtwende, die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hinlegte, als sie vor einer „echten Gefahr“ durch Wölfe in manchen Regionen Europas warnte: für Nutztiere und „potenziell auch für Menschen“. Angesichts zunehmender Konflikte zeigte sie sich bereit, den Schutzstatus des Wolfes in der EU zu ändern. Bis Freitag will die Kommission Daten über Wolfspopulationen und mögliche Gefahren sammeln und dann entscheiden.

In Brüssel wird gemunkelt, dass der unerwartete Meinungsumschwung mit „Dolly“ zu tun haben könnte: Vor ziemlich genau einem Jahr riss ein Wolf in Niedersachsen das 30 Jahre alte Familienpony der von der Leyens. Aber auch über den Vorfall hinaus bekräftigen immer mehr Zwischenfälle den Ruf des blutrünstigen Beutegreifers. So richtete ein Wolf Ende August im Landkreis Stade ein regelrechtes Massaker an einer Schafsherde an, als er 55 von 112 Tieren töte – laut Jagdverband der bisher folgenschwerste Angriff auf eine eingezäunte Herde. Am Wochenende tötete ein Wolf im Landkreis Harburg 16 Schafe auf einer eingezäunten Weide, laut Zeugenaussagen direkt neben einem Wohngebiet. Insgesamt zählte der Bund im vergangenen Jahr 1136 Wolfsangriffe auf Nutztiere, mehr als 4000 Tiere wurden verletzt oder getötet.

Jagd- und Bauernverbände drängen deshalb seit Langem auf ein härteres Vorgehen. Dem können sich auch grün geführte Umweltministerien nicht mehr entziehen. Eine rechtliche Hürde stellt die ungleiche Verteilung der Tiere dar: Während sich im Norden und Osten Deutschlands 2000 Tiere tummeln – in Brandenburg spricht man von der höchsten Wolfsdichte der Welt –, streift in Baden-Württemberg eine Handvoll Wölfe durchs Land. Nach EU-Recht gelten sie als nicht mehr gefährdet, wenn sie sich überall, wo es potenzielle Reviere gibt, in ausreichender Zahl niedergelassen haben.

Gegen diese Regelung laufen die deutschen Länder Sturm. Man könne nicht warten, bis der Wolf im Ruhrgebiet ausreichend vertreten ist, sagt Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne). Der europäische Artenschutz müsse „regionale Antworten auf regional unterschiedliche Herausforderungen“ geben, heißt es in einer Erklärung der 16 Bundesländer. Auch die Opposition macht Druck: Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass der Wolf nicht mehr gefährdet ist, die Bundesregierung müsse daher ein Bestandsmanagement „anlasslos und schadensunabhängig mit sofortiger Wirkung erlauben“, heißt es in einem Antrag von CDU und CSU, der am Freitag im Bundestag beraten wird.

Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat angekündigt, den Abschuss von Wölfen zu erleichtern. Denn die derzeitigen Vorschriften gelten als kaum umsetzbar. Damit Wölfe, die bereits Tiere gerissen haben, gejagt werden dürfen, muss ihre „Schuld“ mittels DNA-Probe nachgewiesen werden. „Das wirkt ein bisschen so wie Aktenzeichen XY für Wölfe“, spottet Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), in dessen Revier sich um die 30 Tiere tummeln. So wurde Problemwolf „GW950m“, der neben von der Leyens Pony mehr als 60 weitere Tiere gerissen hat, bis heute nicht erwischt. Stattdessen wurden sechs andere Wölfe irrtümlich abgeschossen.

Naturschützer sind alarmiert. Statt „Scheindebatten“ brauche es „flächendeckenden und unbürokratischen Herdenschutz und Unterstützung für die Weidetierhaltung“, sagt etwa Wolfsexperte Moritz Klose vom WWF. Beides sei in Deutschland unzureichend. Wenn Weidetiere aber nicht ausreichend geschützt würden, reichten schon wenige Wölfe, um leichte Beute zu machen.

Tier nutzt Fehler aus

Tatsächlich stellen Behörden oft Mängel fest, die das kluge Tier auszunutzen weiß: In Stade gab es Baumstümpfe, die er als Sprungbrett nutzte, zudem wich die Lage eines Stromdrahts um wenige Zentimeter von den Anforderungen ab. In Harburg fehlte ein „Untergrabschutz“, sodass sich der Wolf unter dem Zaun durchbuddeln konnte. Herdenschutz allein, der in den Ländern Millionen verschlingt, könne nicht die Lösung sein, heißt es in Niedersachsen: Man könne nicht das ganze Land einzäunen, sagt Minister Meyer. Zumal die Vorfälle längst für Angst und Schrecken sorgen: Aus Stade wird berichtet, dass Bürger ihre Kinder am Stadtrand nicht mehr unbeaufsichtigt spielen lassen. Im Landkreis Harburg erzählte eine Tierärztin dem NDR, dass Wölfe tagsüber durch den Ort liefen und sich von Menschen nicht beeindrucken ließen. Auch deswegen sehen viele Experten Handlungsbedarf, soll die Akzeptanz für den Wolf nicht völlig verloren gehen.

30 Prozent Wachstum

In Deutschland lebten nach Zählung der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf (DBBW) im Wolfsjahr 2021/22 insgesamt 162 Rudel, 47 Paare und 21 Einzeltiere. Im Norden und Osten Deutschlands haben sich besonders viele Wolfsrudel angesiedelt. Die meisten von ihnen leben nach DBBW-Angaben in den Bundesländern Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern.

Der Deutsche Jagdverband schätzt die gesamte Wolfspopulation im Frühsommer 2021 auf bis zu 2000 Tiere. Allgemein wird davon ausgegangen, dass der Wolfsbestand jedes Jahr um rund ein Drittel wächst.

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Immer dann, wenn Politiker:innen selbst betroffen sind, werden sie aktiv. Dies zur Ausgangsposition dieses Themas.

Natürlich müssen die Tiere und die Menschen geschützt werden; keine Frage. Die Frage, die sich hier stellt ist doch, müssen nicht alle Tiere geschützt werden? Wer sagt uns, dass der Wolf keinen Nutzen für die Natur, die Flora und Fauna hat?

Es wir immer so pauschaliert zwischen Nutztieren und anderen Tieren in unserer Gesellschaft unterschieden. Sind denn die Tiere, die vom Menschen direkt benutzt werden (Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Hühner etc.) nur Nutztiere? Natürlich entsteht ein wirtschaftlicher Schaden, wenn eine Schafherde gerissen wird. Muss deshalb gleich der Wolf umgebracht werden?

In unserer Zeit ist alles nur noch eine Kostenfrage, alles was den Profit schmälert, muss eliminiert werden. Wir merken gerade alle über den ganzen Globus verteilt was passiert, wenn der Mensch in die Natur eingreift. Spätestens seit der AfD wissen wir, es gibt keinen Klimawandel.

Denkt bitte noch einmal nach, fragt die Fachleute, ehe ihr die sich gerade wieder erholenden Tierbestände (der Wolf galt lange Zeit als ausgerottet in unserer Region) erneut reduzieren wollt!

Der Mensch sollte seinem Verstand folgen, das Tier folgt seinen Instinkten.