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Die einen sagen so, die anderen so…

OGA vom 19. Februar 2024 POLITIK

Machen Tablets dumm?

Bildung

Lange Zeit hieß es, Deutschland hinke bei der Digitalisierung der Schulen hinterher. Inzwischen warnen Experten vor den Gefahren der neuen technischen Möglichkeiten.

Von Michael Gabel

Ist Deutschland bei der Digitalisierung der Klassenzimmer „zehn Jahre zu spät“ dran, so wie es der Pisa-Papst und Bildungsforscher Andreas Schleicher sieht? Oder hat eine Gruppe von mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern recht, die den Sinn von immer mehr Tablets an den Schulen bezweifelt und einen „Stopp der Digitalisierung von Schulen und Kitas“ fordert? Ein Überblick über die wichtigsten Argumente.

Was bringt die Digitalisierung in der Schule? Laut Bildungsexperte Schleicher liegen die Vorteile auf der Hand: „Zunächst einmal bietet die Digitalisierung die Möglichkeit, Lernschwächen früh zu erkennen“, sagt der Deutschland-Verantwortliche für den Pisa-Bildungsvergleich. Zum Beispiel sei mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) bei Tests schon früh festzustellen, wo Förderbedarf bestehe. Eine Chance sieht Schleicher auch darin, in naturwissenschaftlichen Fächern am Rechner „selbst Experimente durchzuführen, die sonst kaum möglich wären“.

Auch die ständige wissenschaftliche Kommission, die die Bildungsministerien der Länder berät, betrachtet die neuen technischen Möglichkeiten grundsätzlich als Bereicherung. So könnten KI-gestützte Sprachlernprogramme etwa bei Hausaufgaben gute Dienste leisten, indem sie auch „außerhalb des regulären Unterrichtsrahmens Lehr- und Lernprozesse unterstützen“.

Beim Verband Bildung und Erziehung (VBE) betont man die Chance, Schulkinder individueller betreuen zu können. „Wir sehen jetzt schon, dass Lernprogramme Kinder ganz gezielt dabei unterstützen können, Aufgaben gleicher Struktur gut zu üben und auch andere Schwierigkeitsgrade auszuprobieren“, sagt VBE-Bundesvorsitzender Gerhard Brand.

Wie geht es mit der Digitalisierung voran? Anfangs schlecht, mittlerweile besser. Nach VBE-Angaben sind inzwischen etwa neun Zehntel aller Schulen einigermaßen gut mit Tablets, Smartboards (digitalen Tafeln) und Lernprogrammen ausgestattet. Das restliche Zehntel verfügt noch nicht über Klassensätze von Endgeräten. Darüber hinaus fehlt es vielerorts an kabellosem Internet.

Der VBE dringt auf mehr Tempo und fordert einen „gemeinsamen Kraftakt von Bund, Ländern und Kommunen, um Infrastruktur, Ausstattung und Wartung sicherzustellen“. Gemeint ist der Digitalpakt 2.0 zwischen Bund und Bundesländern. Doch die Fortsetzung des im Mai dieses Jahres auslaufenden ersten Digitalpaktes steckt wegen ungeklärter Finanzierung in der Warteschleife.

Welche Gefahren entstehen durch die Digitalisierung? Im Wesentlichen nennen Kritiker fünf Gründe, die gegen einen Schulunterricht sprechen, der überwiegend am Tablet stattfindet. Einer davon ist schlechtes Lernverhalten. Fremde Texte von der KI zusammenfassen lassen – für die ständige wissenschaftliche Kommission ist das der falsche Weg. Denn das eigene Zusammenfassen längerer Texte sei der beste Weg, „fachliches Wissen und fachliche Kompetenzen“ zu erwerben. Dies gelte vor allem für die Sachfächer und die Fremdsprachen.

Wer sich Informationen „selbstorganisiert“ aus frei zugänglichen digitalen Quellen zusammensuchen muss, statt sie einem Schulbuch zu entnehmen, verliert nach Angaben der Gesellschaft für Wissen und Bildung viel Zeit. Außerdem würden als Ausgleich die vielen Texte oft nur noch überflogen, statt in ihnen „vertiefend nach Wissen zu suchen“.

Klaus Zierer, Schulpädagogik-Professor in Augsburg und Mitunterzeichner des digitalisierungskritischen Schreibens, bezeichnet digitale Medien als „Ablenkungsherd“. Er befürchtet, dass sich Kinder und Jugendliche vorgeblich dem Schulstoff widmen, in Wahrheit aber nach Unterhaltsamem aus dem Internet Ausschau halten oder private Mitteilungen checken.

Internet-Recherche, digitale Lernaufgaben, KI – das alles kann zwar bei der Aneignung von Wissen hilfreich sein, ist aber nur ein schwacher Ersatz für die zwischenmenschliche Kommunikation, sei es mit der Lehrkraft oder den Mitschülern. Die Gesellschaft für Wissen und Bildung empfiehlt deshalb, bis zum Ende der sechsten Klasse auf die Digitalisierung des Unterrichts weitgehend zu verzichten.

Die Kritiker verweisen auf Empfehlungen aus der Medizin, wonach Kinder und Jugendliche ohnehin schon viel zu viel Zeit an den Bildschirmen verbringen. Folgen seien unter anderem: Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, gestörtes Essverhalten, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, geringes Selbstwertgefühl und sogar Depressionen.

„Pädagogik vor Technik“

Das Rad der Digitalisierung an den Schulen lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Das weiß man auch bei der Gesellschaft für Bildung und Wissen, wo betont wird: „Es geht nicht um ein Verbot der digitalen Technik.“ Nur müsse das Prinzip gelten: „Pädagogik vor Technik.“ Digitalisierungsbefürworter sehen das im Prinzip nicht anders. Pisa-Experte Andreas Schleicher rückt die Chancen für Lehrkräfte in den Vordergrund. „Die Rolle der Lehrkraft verschiebt sich – weg vom Wissensvermittler, hin zum Mentor, der Lernprozesse ermöglicht und steuert.“ Schleichers Ausblick: Wenn die Technologie die Routinearbeit übernimmt, bekommen Lehrkräfte „Raum für das Wesentliche: die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Werten“.mg

Landtag in Brandenburg ohne Fahrplan für die Digitalisierung der Schulen

Der Oranienburger Generalanzeiger vom 05.12.2020 titelte so auf Seite 13.

„Die Fachpolitiker im Bildungsausschuss wollen zwar die Defizite beheben, kommen aber über vage Formulierungen ohne Zeitvorgaben nicht hinaus.“ Von Mathias Hausding

Hier der komplette Artikel:

Einig waren sich die Abgeordneten aller Fraktionen am Donnerstag darin, dass in den vergangenen zehn Jahren zu wenig für die Digitalisierung der Schulen in Brandenburg getan wurde. Dies habe die Corona-Pandemie „noch einmal in zugespitzter Form verdeutlicht“, heißt es durchaus selbstkritisch in einem gemeinsamen Papier von SPD, CDU, Bündnisgrünen und Linkspartei. Jener dreiseitige Antrag der Fraktionen wurde auf der Sitzung des Bildungsausschusses dann auch beschlossen. Er zielt darauf ab, erkannte Defizite zu beheben. Schon im September waren die zahlreichen Baustellen bei einer Expertenanhörung des Ausschusses aufgezeigt zogen.

Unverbindliche Bitten

Dementsprechend umfangreich ist dann auch die Liste im Antrag auf den ersten Blick. Insgesamt 15 Forderungen richtet das Parlament an die Landesregierung. Allerdings handelt es sich ausschließlich um vage und unverbindliche Bitten, wie sich bei genauem Lesen zeigt. So wird die Regierung unter Punkt eins zu einer Selbstverständlichkeit aufgefordert, nämlich „die Strategie des Landes zur digitalen Bildung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem Digitalpakt Schule weiterzuentwickeln“. Konkreter wird es an dieser Stelle genauso wenig wie in den folgenden Punkten. So möge die Regierung „prüfen“, ob die Beratungsmöglichkeiten für Schulträger und Schulen bei der Digitalisierung „weiter gestärkt werden können“. Auch solle sich die Koalition dafür einsetzen, dass weitere Bundesmittel nach Brandenburg fließen. An manchen Stellen werden zwar wichtige Punkte angesprochen, wie etwa die Verteilung der Verantwortung zwischen Land und Kommunen bei der Digitalisierung der Schulen sowie der Datenschutz und die Lehrerfortbildung. Aber mit ihren Forderungen dazu bleiben die Abgeordneten stets im Ungefähren, als sei das alles völlig unbekanntes Terrain. Dazu passt auch, dass an keiner Stelle im Antrag Angaben dazu gemacht werden, bis wann dieser oder jener Punkt in welchem Umfang umgesetzt sein sollte. Es findet sich nicht einmal ein Datum, bis zu dem das Bildungsministerium dem Ausschuss über den Stand bei der Umsetzung der Forderungen Bericht erstatten soll.

Während sich die SPD-Bildungsexpertin Katja Poschmann in der Ausschussdebatte „sehr zufrieden mit dem sehr gelungenen Antrag“ zeigte, bedauerte Kathrin Dannenberg (Linke) die Unverbindlichkeit des von ihrer Fraktion mitgetragenen Beschlusses: „Dort steht meist, dass Dinge zu prüfen oder auf etwas hinzuwirken ist. Mir fehlt der Zeitplan: Bis wann wollen wir bestimmte Sachen durchgesetzt haben?“, sagte Dannenberg. Auch wenn auf dem Weg immer wieder Hürden auftauchen könnten, sei es wichtig, ein paar Punkte mit Datum festzulegen. Katja Poschmann wies diesen Appell zurück. „Es ist alles nicht so einfach“, sagte sie, ohne den Gedanken weiter auszuführen.“

Ich bin schon sehr darüber erstaunt, dass es weder ein richtiges Konzept, noch einen Termin zur Umsetzung der Digitalisierung der Schulen gibt. Hat doch der Landkreis Oberhavel im September dieses Jahres eine Stelle zur/zum Systemverwalterin/Systemverwalter Schule (m/w/d) ausgeschrieben. Ich bin davon ausgegangen, dass die Ausschreibung ein Meilenstein im Gesamtprojekt darstellt, um genügend Ressourcen für die Umsetzung zu haben. Ich bin zwar der Meinung, dass eine Stelle für den gesamten Landkreis nicht sehr üppig geplant ist, aber ich kenn auch den Projektantrag nicht. Aufgrund meiner Fachkenntnisse und Erfahrungen habe ich mich ebenfalls auf diese Stelle beworben. Ich hätte gern zum Gelingen dieses Projektes beigetragen. Der Landkreis hat sich anderweitig entschieden.

Ich arbeite seit ca. 20 Jahren auf dem Gebiet der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Unter meiner Federführung wurde die Leitstelle des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes (ÄBD) der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin digitalisiert; die Dienstplanung der diensthabenden Ärzte in allen Dienstarten des ÄBD online gestellt (mittels Dienstsplanungssoftware in der Cloud) und mit externen Dienstleistern die Notdienstpraxen digital vernetzt. Auch hier wird mit einer Praxissoftware in der Cloud gearbeitet. Dies ermöglicht eine zentrale Abrechnung der ärztlichen Leistungen.

Aber wenn die Politik (noch) nicht weiß, wie die Digitalisierung der Schulen umgesetzt werden kann, wie soll es dann die Verwaltung des Landkreises wissen. Das alles erinnert mich an „Stochern im Dunkeln“ und hat wenig Fachkompetenz – leider. Befinden wir uns tatsächlich immer noch in Brandenburg im digitalen Neuland?