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OGA vomn 28. März 2024 POLITIK

Vorbereitet auf den Ernstfall?

Zivilschutz

Die Zeitenwende muss nicht nur in der Bundeswehr, sondern in der gesamten Bevölkerung vollzogen werden, findet Verteidigungsminister Boris Pistorius. Doch es fehlt an vielem.

Von Ellen Hasenkamp

Es gibt hierzulande nicht mal ein gutes Wort dafür. Von „Totalverteidigung“ sprechen die Skandinavier, aber das wäre in Deutschland nun wirklich kein erfolgversprechender Begriff. Den Ansatz dahinter findet Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) allerdings richtig, wie er auf seiner Reise nach Schweden, Norwegen und Finnland kürzlich lobte: „Weil der Schutz der Bevölkerung, der Zivilschutz, immer die Kehrseite einer militärischen Bedrohung und der Verteidigungsfähigkeit ist“. Über das, was der Minister in Helsinki probehalber mit „umfassender Verteidigung“ übersetzt, will er sich demnächst auch im Kabinett mit den Kollegen austauschen. Denn es gibt jede Menge Nachhol­bedarf. Ein paar Schlaglichter:

Planung Das aktuelle Gesamtkonzept der Bundesregierung zur Zivilverteidigung stammt aus dem Jahr 2016. Hintergrund sind vor allem die Terroranschläge vom 11. September 2001 und das Sommerhochwasser 2002. Bereits im Koalitionsvertrag und damit vor dem russischen Großangriff auf die Ukraine hatte sich die Ampel vorgenommen: „Die Konzeption ‚Zivile Verteidigung‘ richten wir strategisch neu aus.“ Nötig seien „Grundlagen für die zukünftige Bevorratung, Notfallreserven oder den Einsatz von freiwilligen Helferinnen und Helfern“. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wird derzeit „die Erarbeitung der Konzepte zügig vorangetrieben“. Eine Sprecherin versicherte zugleich, die geltenden Maßnahmen und Planungen würden „den aktuellen sicherheits­politischen Herausforderungen und Rahmenbedingungen fortlaufend angepasst“.

Mentalität Für den Sicherheitsforscher Carlo Masala ist die Moral der Ukrainer ein entscheidender Faktor im Kampf gegen die russische Armee. In seinem Buch „Bedingt abwehrbereit“ kommt er mit Blick auf Deutschland zu dem Schluss: „Bei uns sehe ich diese gesellschaftliche Abwehrbereitschaft, diese Resilienz und Zähigkeit in der Bevölkerung … nicht.“ Was aber, räumt er ein, nach der langen Friedenszeit nicht verwunderlich sei.

Umso erstaunlicher, dass beispielsweise die Schweden nach zwei Jahrhunderten ohne Krieg ganz anders aufgestellt sind: Die allgemeine Dienstpflicht ist hoch anerkannt, von der Armee ausgewählt zu werden, gilt als Auszeichnung. Zivilschutz sei hier „eine Frage des Gemeinsinns“, lobte Pistorius, der wohl auch mit Blick auf seine Sozialdemokraten den Hinweis hinzufügt, dass diese „Bereitschaft, für sein Land zu kämpfen“ bei den Skandinaviern „nicht militaristisch, nicht alarmistisch konnotiert ist“.

Ihm schwebt ein ähnlicher Mentalitätswandel auch in Deutschland vor. Derzeit würden sich einer Umfrage zufolge im Angriffsfall nur fünf Prozent freiwillig zum Kriegsdienst melden. Masala empfiehlt, „dass die Politik den Bürgern auf der rhetorischen Ebene durchaus etwas zumuten“ solle. Politiker müssten für notwendige Entscheidungen eben auch „offensiv werben“. Pistorius zumindest scheint sich das in Sachen „Kriegstauglichkeit“ und „Wehrpflicht“ zu Herzen genommen zu haben.

Bunker

Die Einfahrt sieht aus wie der Zugang zu einer Tiefgarage. Aber die finnische Zivilschutzanlage Merihaka bietet weit mehr als Auto-Stellflächen – auch jenseits von Notfällen. Hier trainieren Schulklassen auf Hockeyfeldern und Senioren auf Fitness-Geräten. Insgesamt wurden in der Hauptstadt Helsinki Bunker mit Platz für 900.000 Menschen in die Granitfelsen gefräst. Das ist weit mehr, als die Stadt Einwohner hat. In Deutschland dagegen gibt es nach Angaben des Städte- und Gemeindebunds nur 600 einsatzfähige öffentliche Schutzbunker für rund eine halbe Million Menschen. „Es ist dringend notwendig, stillgelegte Bunker wieder in Betrieb zu nehmen und neue, moderne Schutzräume zu bauen“, so der Verband, der eine Art Zivilschutz-Sondervermögen fordert: „Für den Schutz der Bevölkerung bedarf es in jedem der nächsten zehn Jahre mindestens einer Milliarde Euro.“

Notvorräte Der frühere Bundes­innenminister Thomas de Maizière (CDU) machte vor acht Jahren keine gute Erfahrung mit dem Thema. In dem damals von ihm veröffentlichten Zivilverteidigungskonzept war die Empfehlung an die Bürger enthalten, sich für zehn Tage Vorräte anzulegen. „Panikmache“ oder „Hamsterzwang“ lauteten die Vorwürfe; der Spott war groß. Eine Pandemie, eine Flutkatastrophe und einen Krieg in Europa später klingen solche Ratschläge anders. Auch seine Nach-Nachfolgerin Nancy Faeser (SPD) erinnerte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs daran, dass es „auf jeden Fall sinnvoll“ sei, „einen Notvorrat zu Hause zu haben“.

Das sollte man zu Hause haben

Die Bundesregierung gibt auf der Website www.ernaehrungsvorsorge.de praktische Hinweise. Ein Problem: Für eine vierköpfige Familie kommt man für die empfohlenen zehn Tage auf 80 Liter Wasser und über 50 Kilogramm sonstige Vorräte. Wohin damit in städtischen Wohnungen? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe rät: „Getränkekästen können beispielsweise zu Sitzgelegenheiten (Hocker) oder Tischen umfunktioniert werden.“ Das klingt noch immer wenig lebensnah. In Schweden verschickte die Regierung schon 2018 eine Broschüre an alle Haushalte zum Umgang mit Katastrophen. Darin: Einkaufslisten und Bevorratungstipps.

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