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Eine perfekte Schule…?

OGA vom 16. Dezember 2023 POLITIK

Kompletter Neustart wäre falsch

Bildung

Ein Modell für die perfekte Schule wird es wohl niemals geben – zu groß sind die Unterschiede. Spannend ist die Frage nach optimalen Lernbedingungen dennoch.

Von Michael Gabel

Die Ergebnisse der Pisa-Studie waren ein Schock: Nach zwischenzeitlichen Erfolgen ist das deutsche Schulsystem auf einem noch tieferen Stand als im Jahr 2000, als der internationale Bildungsvergleich zum ersten Mal durchgeführt wurde. Dabei ist Bildung in Deutschland relativ teuer, und die Lehrkräfte verdienen mehr als in den meisten anderen Ländern. Vielleicht fehlt es auf dem Weg zur idealen Schule einfach an guten Ideen beziehungsweise an deren Umsetzung.

Erlanger Schule gewinnt den Deutschen Schulpreis – was ist an ihr so toll? Als die Eichendorffschule im fränkischen Erlangen im Oktober den Deutschen Schulpreis gewann, wurde erst einmal gefeiert. Mit dem Preisgeld von 100.000 Euro wolle man dringend benötigte Dinge anschaffen – wie zum Beispiel zwei 3D-Drucker, sagt Schulleiter Helmut Klemm dieser Zeitung. Das Besondere an der prämierten Schule sind die sogenannten Lernbüros: Jungen und Mädchen bekommen in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch Lernmaterialien, mit denen sie sich auf jeweils ganz individuelle Weise beschäftigen können. Vorgegeben sind jeweils nur „Bausteine“, die nach und nach bearbeitet werden. Fühlt sich jemand fit genug, um ein Thema abzuschließen, macht er oder sie einen Probetest und bekommt beim Bestehen einen Leistungsnachweis.

Pädagoge Klemm will damit, wie er sagt, „den Kindern ihr Lernen wieder zurückgeben“. Bei der 2015 begonnenen Reform habe sich die Schule vorgenommen, dass Lehrkräfte weniger Stoffvermittler als Lernbegleiter beziehungsweise Coaches sein sollen: selbstbestimmtes Lernen mit von der Schule vorgegebenen, möglichst breit aufgestellten Leitplanken. Zum Unterrichtsprinzip gehören auch sogenannte Frei Days, an denen Beiträge zu selbstgewählten Themen erarbeitet werden. Im vergangenen Schuljahr lautete das Thema „Kein Hunger“ – nachgeforscht wurde unter anderem, wie in der schuleigenen Kantine mit Essensresten umgegangen wird.

Alles auf Anfang, um zur „idealen Schule“ zu gelangen? Das wäre der völlig falsche Ansatz, warnt der Hamburger SPD-Politiker Ties Rabe, der mit dem Stadtstaat im deutschlandweiten Bildungsvergleich einen großen Sprung nach vorn gemacht hat. Die Forderung nach einem kompletten Neustart des Schulwesens sei „die beste Methode, um den Karren an die Wand zu fahren“, sagt er. „Man kann ein System, das fünfmal so groß ist wie die Bundeswehr, 26 Millionen Schüler und Eltern betrifft und jeden Tag auf Hochtouren läuft, nicht mal eben komplett anhalten und neu sortieren.“ Der beste Weg für eine erfolgreiche Schulpolitik sei „Evolution statt Revolution“ – also „das Drehen an vielen Stellschrauben“.

Viele haben Angst vor Mathematik – wie lässt sich das ändern? Die jüngste Pisa-Auswertung hat gezeigt: Bei vielen der getesteten 15-Jährigen herrscht großer Frust über die aus ihrer Sicht trockene Art und Weise der Wissensvermittlung.

Der Erlanger Pädagoge Klemm sagt von sich selbst, ihm sei das früher ganz ähnlich gegangen. In der von ihm geleiteten Schule wird deshalb ein anderer Ansatz verfolgt. Dort gibt es für Fünft- und Sechstklässler einen „Raum der Mathematik“. Als „handlungsorientiertes“ Unterrichtsmaterial dient dort zum Beispiel Schokolade in Form von Dreiecken, Quadraten und Würfeln. Außerdem setze man zusätzliche pädagogische Kräfte ein, die zum Teil aus der Schule zur Verfügung stehenden Mitteln bezahlt werden.

In welchem Alter sollte es mit dem Lernen losgehen? Hamburg hat seine Erfolge unter anderem damit erzielt, dass dort verpflichtende Sprachfähigkeitstests für Viereinhalbjährige eingeführt wurden – ganz gleich, ob diese Kinder eine Kita besuchen oder nicht. Ergeben sich dabei Hinweise auf einen Förderbedarf, wird den Eltern „dringend geraten“, ihr Kind in eine Art Vorschule zu schicken. Dazu gezwungen werden können die Eltern zwar nicht. Aber laut Hamburger Sprachförderkonzept werden „die Eltern darauf hingewiesen, dass ihr Kind vom Schulbesuch zurückgestellt werden kann“. Noch einen Schritt weiter will die Bundes-CDU gehen. Im Entwurf für ihr neues Grundsatzprogramm heißt es, Kinder mit festgestelltem Förderbedarf sollten „vor der Einschulung verpflichtend zur Kita oder in die Vorschule“.

Was kann Deutschland von Estland lernen? Das wohlhabende Deutschland im Mittelfeld, das weitaus ärmere Estland bei den europäischen Ländern auf Platz eins – ein blamables Ergebnis ist das für die hiesige Bildungspolitik. Im Wesentlichen sind es drei Dinge, die in Estland anders und damit offenbar besser gemacht werden als in Deutschland: Zum einen werden Schulkinder dort wesentlich stärker individuell gefördert. Zum anderen können Lehrkräfte den Unterricht stärker an die Bedürfnisse ihrer Klasse anpassen als in Deutschland, wo der Lehrplan eine weitaus größere Rolle spielt. Und drittens: In Estland gehen zwei Drittel aller Zweijährigen in eine Vorschule und lernen dort bei Bedarf wie selbstverständlich die estnische Sprache. Hört sich das nach einer Mischung aus dem Erlanger und dem Hamburger Modell an? Durchaus, aber was in Deutschland häufig auf Initiative Einzelner geschieht, ist in Estland staatliche Vorgabe.

Wie wichtig sind in der „idealen Schule“ besondere Angebote wie Astronomie oder Chinesisch? Mit dem Weltraum-Teleskop ins All schauen, nachmittags Chinesisch lernen – für manche Kinder und Eltern kommt das dem Traum von der perfekten Schule sehr nahe. Der Erlanger Schulleiter sagt über solche Angebote: „Warum nicht? Wenn die Möglichkeit dazu besteht.“ Aber alles werde man auch in einer idealen Schule nicht unterbringen. Er favorisiere Schulkonzepte, die mit einem gewissen Aufwand auch tatsächlich flächendeckend umzusetzen wären und wolle keine „Wolkenkuckucksheim-Traumschule auf einer Insel“.

Schulen in Oberhavel und kein Ende…

OGA vom 30. Oktober 2023 TITELSEITE

Eltern fordern mehr Tempo beim Schulbau

Bildung

Schüler in Containern sowie Neubauten von teils sehr großen Schulen: Die Schulpolitik des Kreises Oberhavel stößt auf Kritik.

Von Roland Becker

Die weiterführenden Schulen in Oberhavel platzen aus allen Nähten. Der Kreis kommt kaum noch hinterher, genügend Schulplätze zur Verfügung zu stellen. Das ruft auch den Kreiselternrat auf den Plan. Dieser äußert an der jetzt im Kreistag vorgelegten Novellierung des Schulentwicklungsplans deutliche Kritik. Was halten die Elternvertreter vom großen Schulneubau in Velten, von der verweigerten Oberschule für Oberkrämer und den Container-Schulen?

Der aktuelle Schulentwicklungsplan ist gerade mal eineinhalb Jahre alt und schon Makulatur. Die Folge: Unter dem Druck, dass für das Schuljahr 2024/25 nach aktuellem Stand 261 Plätze fehlen, muss der Kreis zu Notlösungen greifen. „Wir haben die Situation, dass dauerhaft der Realität hinterhergelaufen wird. Für die Schulsituation der Kinder ist das ein Drama“, schlägt Alexander Krupp, Sprecher des Kreiselternrats, Alarm.

Unsere Kinder sitzen in Containern und müssen in drei Schichten zum Mittagessen.

Der Realität hinterherzulaufen bedeutet, dass viele Kinder und Jugendliche künftig in Containern unterrichtet werden. Vom Landkreis wird dafür das Wort Modulbauten verwendet. Klingt besser, beschönigt aber einiges. „Da sitzen unsere Kinder in Blechcontainern und müssen in drei Schichten zum Mittagessen. Auf dem Schulhof haben sie keine Chance, sich aus dem Weg zu gehen“, spielt Krupp darauf an, dass die Enge zu mehr verbalen und körperlichen Attacken führen kann.

In der jetzigen Situation gibt es zu den Containern keine Alternative, räumt der Kreiselternsprecher ein. „Man kann die Kinder nicht auf den Hof stellen und im Regen unterrichten.“ Das bedeutet aber auch, dass Sporthallen, Pausenräume und Mensen viel mehr Schülerinnen und Schüler verkraften müssen. Dazu komme, dass teilweise Fachkabinette in Klassenräume umgewandelt werden. Auch Räume für den Teilungsunterricht fehlen.

Krupp, der auch Mitglied des Landeselternrates ist, hat einst große Hoffnungen in den neuen Landrat gesetzt. Er erinnert daran, dass Alexander Tönnies (SPD) Anfang 2022 in seinem Wahlkampf öffentlich versprochen habe, Oberhavel zum Bildungslandkreis aufsteigen zu lassen. „Es wäre schön, wenn wir das hinbekommen“, meint der Elternsprecher heute und fordert deshalb mehr Tempo beim Bau von Schulen.

Es wird noch Jahre dauern, ehe geplante Neubauten wie die Gesamtschule in Velten oder die in Schönfließ – diese soll frühestens 2030/31 fertig sein – für spürbare Entlastungen sorgen. „Das hilft vielleicht Kindern, die jetzt in die erste Klasse kommen. Aber es hilft nicht den jetzigen Siebtklässlern“, kritisiert der in Glienicke lebende dreifache Vater das aus seiner Sicht mit angezogener Handbremse gefahrene Tempo für die Bauvorhaben. In Namen des Kreiselternrats fordert er: „Wir wünschen uns eine beschleunigte Planung.“

Krupp hat den Entwurf für den zu modifizierenden Schulentwicklungsplan genau gelesen. Dabei fallen ihm Formulierungen wie diese auf: „Die Barbara-Zürner-Oberschule soll dabei als bestehende Einrichtung erhalten bleiben.“ Der Elternvertreter möchte das klarer gefasst wissen. „Die Schule wird erhalten“, fordert er für die Veltener Bildungseinrichtung.

Wenige Hundert Meter entfernt soll neben Veltens Gymnasium eine Gesamtschule entstehen. Auch unter den Kreistagsabgeordneten sind längst nicht alle damit einverstanden, dort eine fünfzügige Schule zu errichten. Krupp hält sich mit Kritik an dieser Stelle zurück. Das hat weniger damit zu tun, dass er dazu garantiert eine Meinung hat, als damit, dass sich der Kreiselternrat Mitte Oktober neu konstituierte. Daher müssen zu einigen Problemfällen in der Schullandschaft erst noch gemeinsame Positionen gefunden werden.

Seine eigene Meinung aber steht fest: „Es sollten keine extrem großen Schulstandorte entwickelt werden.“ Er plädiere getreu dem bisherigen Motto des Kreiselternrates – Kurze Wege für kleine Füße – für dezentrale Bildungseinrichtungen. Indirekt kann das als ein Appell zum Bau einer weiterführenden Schule in Oberkrämer verstanden werden. Im Landratsamt, wo man sich beharrlich dagegen wehrt, wird das nicht gern gelesen werden.