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Die Bauern und ihr wirklicher Gegner!

OGA von 22. Februar 2024 POLITIK

Die großen Vier und die Bauern

Marktmacht

Aldi, Edeka, Rewe und die Schwarz-Gruppe haben über 75 Prozent Marktanteil im Lebensmitteleinzelhandel. Die Landwirte beschweren sich über den Preisdruck. 

Von Dominik Guggemos

Tausende Traktoren und Zehntausende Bauern auf den Straßen haben in den letzten Monaten deutlich gemacht: Es brodelt in der deutschen Landwirtschaft. Zwar war die geplante Streichung von Agrarsubventionen durch die Ampel-Koalition der Auslöser für die Wut der Bauern, aber die Unzufriedenheit sitzt deutlich tiefer. Die Landwirte beschweren sich über einen enormen Preisdruck durch den Handel. Was ist dran an den Vorwürfen gegen die großen Supermarktketten?

Wie groß ist die Marktmacht des Einzelhandels? Die „Big Four“, also Aldi, Edeka, Rewe und die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland), machen einen Marktanteil von über 75 Prozent im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) unter sich aus – zum Leidwesen vieler Bauern. „Der Preisdruck kommt ganz eindeutig aus dem LEH“, sagt Willi Kremer-Schillings dieser Zeitung. Der Landwirt war Mitglied im „Praktikernetzwerk“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums, betreibt als „Bauer Willi“ einen Blog und schreibt Bücher. Um seinen Punkt zu untermauern, macht er eine Rechnung auf: „Das Kilo Mehl kostete bei Aldi vor Corona 39 Cent, bei einem Getreidepreis von 190 Euro pro Tonne. Jetzt kostet es bei Aldi-Süd 79 Cent, bei 30 Prozent geringeren Erzeugerpreisen für die Bauern.“ Fairerweise müsse man zwar sagen, so Kremer-Schillings, dass die Mühlen längerfristige Verträge abschlössen und der LEH mit gestiegenen Energiepreisen zurechtkommen müsse. „Aber die Rohstoffpreise sollten doch einen Einfluss auf die Preise im Markt haben – zumal die Energiepreise in der Zwischenzeit ja auch wieder gesunken sind.“

Was entgegnet der Handel den Vorwürfen? Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer beim Handelsverband Deutschland (HDE), verweist auf Nachfrage darauf, dass es kaum direkte Geschäftsbeziehungen zwischen Landwirten und den Handelsunternehmen gebe. „Zudem geht bei vielen Nahrungsmitteln ein großer Anteil der Produktion aus der heimischen Landwirtschaft in den Export.“ Daher spiele der Handel bei einem großen Teil der Produkte keine Rolle bei der Entlohnung der Bauern.

Was sagt die Monopolkommission über die Marktmacht der Handelsriesen? Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat das unabhängige Beratungsgremium aufgefordert, sich die Wettbewerbssituation genauer anzuschauen. In ihrem Bericht schreibt die Monopolkommission, die Lebensmittellieferketten in Deutschland wiesen durchaus „Anzeichen von Wettbewerbsproblemen und Marktmacht“ auf. Als Gründe dafür nennt sie die langwierige Produktion in der Landwirtschaft bei eingeschränkter Planbarkeit sowie die Verderblichkeit der Waren. Lebensmittelmärkte seien „oft keine vollständig funktionierenden Wettbewerbsmärkte“.

Die Monopolkommission schreibt aber auch: „Eine hohe Marktkonzentration kann ein Indiz für Marktmacht sein, muss aber nicht zwangsläufig hierauf hindeuten.“ Die Daten­lage sei zu komplex, um endgültige Aussagen zu treffen. Deswegen empfiehlt sie auch keine sofortigen Maßnahmen, will die Lieferketten lediglich noch gründlicher untersuchen, was der Handel für sich verbucht, wie Genth betont: „Die Kommission warnt ausdrücklich vor Schnellschüssen.“

Hilft die Politik den Bauern? Wirtschaftsminister Habeck will dafür sorgen, dass die Bauern künftig eine stärkere Position bei der Bestimmung der Preise für ihre Produkte bekommen. „Das Haupt­problem der Landwirtschaft ist häufig, dass sie ihre Pro­duktions­kosten nicht weitergeben können“, sagt Habeck. Der Markt sei nicht fair. Er wolle als Wirtschaftsminister „schauen, ob man nicht die Mechanismen so überdenken kann, dass die Betriebe in die Lage versetzt werden, ihre Preise auch zu realisieren“. Welche Mechanismen Habeck dabei genau im Sinn hat, wollte sein Ministerium auf Nachfrage nicht sagen. Genth vom Handelsverband warnt bereits präventiv: Die von Habeck angedeutete Preisregulierung würde „tendenziell zu höheren Verbraucherpreisen führen, ohne aber den Erzeugern zu helfen“.

Ging es den Bauern finanziell zuletzt nicht sehr gut? Laut Bauernverband erwirtschafteten die Landwirte im Geschäftsjahr 2022/23 im Schnitt ein sattes Plus von 45 Prozent. „Ich werde in diesem Jahr 70 – aber ein Jahr wie 2022 habe ich noch nie erlebt“, sagt Kremer-Schillings. Er konnte wegen der Inflation als Reaktion auf den Ukraine-Krieg historische Erlöse erzielen – hatte aber niedrige Kosten für Dünger und Pflanzenschutz, die er noch vor Kriegsbeginn gekauft hatte. „Für 2023 wird es allerdings schon anders aussehen, denn da haben wir historisch hohe Ausgaben für Dünger – wir mussten fast das Dreifache bezahlen wie zuvor“, sagt Kremer-Schillings. Der Gewinn aus 2022 werde durch 2023 wahrscheinlich komplett aufgefressen.

Wie kommt ein Produkt vom Feld ins Supermarktmarktregal? Bei Getreide landet es zunächst in einer Genossenschaft. „Vom Landwirt geht es an die Getreidemühle, von der Mühle an den Bäcker, von dem zum Endverbraucher“, sagt Kremer-Schillings. Fleisch gäben die Bauern zu 98 Prozent an einen Schlachthof. „Davon gibt es vier große Ketten in Deutschland“, sagt er. Vom Schlachthof gehe es dann an die Verarbeiter, von denen zum Supermarkt – und von dort zum Verbraucher.

Was bringt die Ombudsstelle?

Seit Mai 2021 gibt es in Deutschland eine Ombudsstelle gegen unfaire Handelspraktiken des Lebensmitteleinzelhandels (LEH), an die sich Landwirte wenden können. Sie basiert auf einer EU-Richtlinie und soll vor dem Hintergrund von erhaltenen Meldungen eine Untersuchung einleiten und Verstöße weiterleiten dürfen. Die Namen der Informationsgeber sollen anonym bleiben. Trotzdem beklagt Willi Kremer-Schillings: „Die Schiedsstelle wird fast gar nicht genutzt, weil die Landwirte Schiss haben.“ Sie seien dem LEH ausgeliefert. „Wir sprechen schließlich von einem Oligopol.“ Der Landwirt war Mitglied im „Praktikernetzwerk“ des Bundeslandwirtschaftsministeriums.

Die CDU Brandenburg im Wahlmodus?

OGA vom 21. Februar 2024 TITELSEITE ORANIENBURG

CDU will Pflichtdienst für Jugendliche einführen

Gesellschaft

Die Ausbildung soll ab dem 18 Lebensjahr in Brandenburg erfolgen. Einsätze im Katastrophenschutz sind denkbar.

Von Ulrich Thiessen, Jessica Reichhardt

Die CDU im brandenburgischen Landtag will die Gesellschaft für die Bewältigung möglicher Katastrophen fit machen und gleichzeitig etwas gegen den Personalmangel in vielen Sicherheitsbereichen und in der sozialen Versorgung tun. Es gehe darum, das Land bis 2035 entsprechend aufzustellen, heißt es in einem Papier, das am Dienstag im Landtag vorgestellt wurde.

Darin weisen die Christdemokraten auf eine Reihe von Schreckensszenarien hin, auf die Brandenburg aktuell nicht ausreichend vorbereitet sei. Das reicht von Naturkatastrophen bis hin zu Stromausfällen. In all diesen Krisensituationen, so die Analyse, fehle es an Strukturen und vor allem an ausreichend geschultem Personal.

Für solche Einsätze sollen die Jugendlichen an 45 Tagen ausgebildet werden. Der Fraktionschef Jan Redmann erläuterte, dass der Umfang in etwa dem einer Grundausbildung bei der Bundeswehr entspricht. Der Dienst an der Gesellschaft soll den Plänen zufolge zwischen dem 18. und 21. Lebensjahr erfolgen. Es geht um den Katastrophenschutz, den Brandschutz, die Bereiche der Wohlfahrt, um Sozialarbeit und das Gesundheitswesen, heißt es. Qualifizierungen sollen bis zum 35. Lebensjahr erfolgen.

Redmann räumte am Dienstag ein, dass für den verpflichtenden Dienst Bundesgesetze geändert werden müssten. Aus diesem Grund kündigte er an, mit entsprechenden Anträgen die Bundes-CDU für die Idee gewinnen zu wollen. Aussagen, ob eine Vergütung geplant sei, konnte die CDU nicht beantworten.

SPD-Fraktionschef Daniel Keller, zeigt sich am Dienstag wenig begeistert vom Vorstoß des Koalitionspartners. Das erscheine ziemlich aus der Hüfte geschossen, sagte er. Es sei auch fraglich, ob in der kurzen Zeit Kenntnisse erworben werden können, die beispielsweise Einsätze im medizinischen Bereich rechtfertigen. Für die Grünen lehnte Fraktionschef Benjamin Raschke die Idee ab. Er warf der CDU vor, nach Wahlkampfthemen zu suchen.

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Irgendwie klingt dies wie aus dem Geschichtsbuch abgeschrieben.

Oder was stellte seinerzeit der Reichsarbeitsdienst dar? Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Die Landes-CDU wird für solche Gedankenspiele niemanden finden, der auf Bundesebene Gesetze dafür ändert. Hier sieht der geneigte Leser einmal mehr, wie diese Partei tickt und aus welchem Jahrhundert ihre Ideen kommen. Wehret den Anfängen!

Wie und wieso die AfD Laptops aus Schulen verbannen will

Heute eine Information der MOZ vom 20.02.2024

Schule in Brandenburg: Wie und wieso die AfD Laptops aus Schulen verbannen will

Bislang wurde darüber diskutiert, dass Brandenburg die Digitalisierung im Bildungssystem verschläft. Ein Antrag der AfD-Fraktion sieht vor, zum analogen Unterricht zurückzukehren. Was das für Eltern und Kinder bedeuten würde.

20. Februar 2024, 05:00 Uhr 

Potsdam

Ein Artikel von  Ulrich Thiessen

Lassen sich Laptops aus dem Unterricht verbannen? Wenn es nach der AfD im Landtag Brandenburg geht, dann auf jeden Fall.

Kinder, die schlecht lesen können und das Gelesene kaum verstehen, Schüler mit reduziertem Wortschatz, Abnahme der Konzentrationsfähigkeit, Depressionen, Essstörungen und Fettleibigkeit – all das gibt es an deutschen Schulen. Geht es nach der AfD im Landtag von Brandenburg, lässt sich das alles mit einer einfachen Maßnahme angehen: Die Digitalisierung in den Schulen beenden und Laptops in den Klassenräumen bis zur Klasse sieben verbieten.

So sieht es ein Antrag vor, den die Oppositionsfraktion am Mittwoch (21. Februar) in den Landtag einbringen will. Brandenburg soll demnach aus den Bundesprogrammen zur Einführung von digitalen Endgeräten (Laptops) aussteigen und keine Lehr-Lern-Werkzeuge in der Primarstufe mehr verwenden. Die Landesregierung soll stattdessen „Eltern, Erzieher und Lehrer in geeigneter Form über die gesundheitlichen, psychosozialen und Bildungs-Risiken bei der Nutzung digitaler Endgeräte und Angebote durch Kinder und Jugendliche umfassend aufklären“, heißt es in dem Antrag.

Brandenburg hat sich nie vom Schulbuch verabschiedet

Verwiesen wird auf eine schwedische Studie vom April 2023 und die Ankündigung des Bildungsministeriums in Stockholm, sich vom rein digital ausgerichteten Unterricht zu verabschieden. Katharina Scheiter, Professorin für digitale Bildung an der Universität Potsdam, verweist darauf, dass man die Schulen in Brandenburg mit denen Schwedens nicht vergleichen kann. Denn hierzulande wurde nie auf eine komplette Digitalisierung des Unterrichts gesetzt.

Angermünde

Während im hohen Norden wieder Bücher in den Unterricht eingeführt werden sollen, so sind sie in Brandenburg nie aus den Klassen verbannt worden. Es gehe vielmehr darum, digitale Hilfsmittel gezielt einzusetzen, um Basiskompetenzen wie Lesen und Rechnen zu stärken. Die Potsdamer Wissenschaftlerin verweist auf verschiedene Apps, deren Einsatz die Fähigkeiten der Schüler beim Lesen, Schreiben und Rechnen verbessern.

Wem nutzt der Verzicht auf Medienbildung in der Schule?

Die Frage stelle sich vielmehr, ob die Lehrer auf die Anwendung der Hilfsmittel ausreichend vorbereitet seien. Deutschland habe die Digitalisierung in der Bildung verschlafen, vor allem in der Lehrerbildung, so Katharina Schreiter. Die Potsdamer Universität sei da eine Ausnahme und eine der ersten in der Lehrerbildung, in der sich der Umgang mit digitaler Bildung durch das ganze Studium zieht.

Für die Professorin geht es nicht allein um die Frage, mit welchen Hilfsmitteln Schüler ihre Grundfähigkeiten erlernen. Es drehe sich auch um die Frage der Medienkompetenz. Sie verweist darauf, dass Kinder zwischen sechs bis 13 Jahren täglich im Durchschnitt 75 Minuten im Internet verbringen. Die Hälfte davon, ohne, dass Eltern ihnen dazu Vorgaben machen. Katharina Schreiter fragt zudem nach der Chancengleichheit. Wenn man die digitalen Medien aus dem Unterricht heraushalte, dann werden vor allem Kinder aus bessergestellten Elternhäusern die entsprechenden Kompetenzen entwickeln.

Bekommt bald jeder Schüler im Barnim einen Laptop?

Bernau

Die Wissenschaftlerin verweist darauf, dass es gerade die AfD ist, die wie keine andere Partei die sozialen Medien nutzt, um ihre politischen Inhalte an Jugendliche zu bringen. Man müsse sich schon fragen, ob die Partei deshalb ein Interesse daran hat, dass Kinder in Schulen nicht zum reflektierten Umgang mit Medien befähigt werden.

Gewerkschaften fordern landesweites Konzept

Auch für Günther Fuchs, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), geht es um die Chancengleichheit der Kinder. Für ihn steht fest, dass die AfD auf Elitebildung setzt und kein Interesse daran hat, alle Kinder zu fördern. Fuchs vermisst ein landesweites Konzept, wie digitale Medien im Unterricht eingesetzt werden sollen. Es müsse um die eingesetzten Geräte gehen, um die Programme und die Bildungsziele. Aktuell herrsche in Brandenburg ein Flickenteppich und die Frage, ob das Land oder die Schulträger für die Wartung und den Ersatz der Lehrer-Laptops zuständig sind, sei immer noch nicht geklärt.

Auch die bildungspolitische Sprecherin, Kathrin Dannenberg (Linke), forderte ein Rahmenkonzept des Landes für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht. Die Schulen würden Konzepte über Konzepte schreiben und das Ministerium hebe oder senke den Daumen, ohne zu erklären, was eigentlich gewollt ist, kritisiert die Lausitzerin. „Der AfD-Antrag ist totaler Quatsch“, sagte sie. Aber gleichzeitig sei eine Debatte, auch mit den Eltern notwendig, wie viele Stunden die Kinder in welchem Alter vor dem Bildschirm sitzen sollen.

Digitale Auswertung der Vergleichsarbeiten als Arbeitserleichterung

Katja Poschmann, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, wehrt sich gegen den Eindruck, dass in brandenburgischen Schulen nur noch digital unterrichtet werde. „Wir werden auch in Zukunft nicht auf Bücher und die Handschrift verzichten“, versichert sie. Sie bemängelt, dass in Deutschland immer noch nicht alle Schulen mit den entsprechenden Anschlüssen ausgestattet sind, um überall digitale Medien einsetzen zu können.

Sind digitale Tafeln im Landkreis auf dem neuesten Stand?

Eberswalde

Poschmann erhofft sich von der modernen Technik Entlastungen der Lehrkräfte. Noch werden die Apps nur von den Anbietern ausgewertet. Die SPD-Politikerin hofft, dass auch Lehrer künftig sehen, wie schnell Schüler Aufgaben lösen. Wenn dann noch Wissenschaftler auf die Daten zugreifen, würden ihrer Meinung nach auch die aufwendigen Vergleichsarbeiten überflüssig. Wie das jedoch mit dem Datenschutz vereinbar ist, muss noch geklärt werden.

Die bildungspolitischen Ziele der AfD

Im Wahlprogramm der brandenburgischen AfD von 2019 (das für die Landtagswahlen 2024 liegt noch nicht vor) spricht sich die Oppositionspartei gegen Gemeinschaftsschulen aus. Stattdessen sollten wieder Realschulen eingeführt werden. Auch die Inklusion wird abgelehnt und der Ausbau der Förderschulen gefordert. Im Laufe der aktuellen Legislaturperiode kam dann auch noch die Forderung hinzu, sich von der Einführung von Ganztagsschulen zu verabschieden. Der bildungspolitische Sprecher der AfD im Landtag, Dennis Hohloch, argumentierte, dass ohne die entsprechende Betreuung und die Ausweitung des Unterrichtes auf den Nachmittag mehr Lehrer für den Unterricht eingesetzt werden könnten. Die anderen Fraktionen im Landtag kritisierten, dass ohne das Ganztagsangebot die Arbeitsgemeinschaften und Fördermöglichkeiten entfallen würden und die Debatte an der Lebenswirklichkeit arbeitender Eltern vorbeigehe.

 

Keiner soll sagen müssen, das habe ich nicht gewusst!

OGA vom 20. Februar 2024 POLITIK

Die Ideen der AfD

Programmatik

Was würde sich ändern, wenn die Partei die Regierungspolitik bestimmen würde? In ihrem Programm nennt sie ihre Pläne. Experten sagen, was die Folgen für Deutschland wären.

Von Dominik Guggemos

Die AfD ist in aller Munde. Viele sind empört über Treffen einiger ihrer Vertreter mit Rechtsextremisten, Millionen Menschen sind gegen die Rechtsaußen-Partei auf die Straße gegangen. Diskutiert wird auch über ein Parteiverbot. Aber was will die AfD konkret? Wie könnte sich das Leben vieler Menschen bereits kurzfristig ändern, wenn die Rechten die Mehrheit im Land hätten? Ein Blick in die programmatische Ausrichtung der Partei.

Gleichberechtigung von Frauen Die AfD „bekennt sich zur traditionellen Familie als Leitbild“. Was dazu führt, dass die offen lesbische Parteichefin Alice Weidel, die mit ihrer Frau zwei Söhne großzieht, für Selfies vor einem Plakat posieren muss, laut dem „Liebe“ bedeutet: „Mutter, Vater, Kinder!“ Weil die von der Wirtschaft benötigten Fachkräfte nicht aus dem Ausland kommen sollen, müssten die Frauen in Deutschland deutlich mehr Kinder bekommen. Erreichen will die AfD das mit einer „aktivierenden Familienpolitik“. Zum Beispiel, dass Eltern zum Erwerb von Wohneigentum zinslose Darlehen erhalten sollen – mit jedem Kind verringert sich die Schuldsumme. Klingt innovativ, gab es so ähnlich aber schon in der DDR und hieß „Ehestandsdarlehen“: Bei der Geburt eines Kindes wurden 25 Prozent der Schuld erlassen. Im Volksmund wurde das „ab­kindern“ genannt. Die DDR blieb allerdings auch nach der Ein­führung des „Ehestandsdarlehens“ deutlich unter einer Geburtenrate von zwei Kindern pro Frau. Ungewollte Schwangerschaften wären für Frauen unter einer AfD-Regierung derweil deutlich schwieriger zu beenden – Abtreibungen seien „kein Menschenrecht“, heißt es.

Kinderbetreuung Die AfD will, dass Kinder länger zu Hause bleiben und später in die Kita gehen. Bei unter Dreijährigen soll „eine Betreuung, die Bindung ermöglicht“, im Vordergrund stehen. Die AfD fordert „eine echte Wahlfreiheit zwischen Fremdbetreuung in Krippen oder familiennaher Betreuung“. Diese echte Wahlfreiheit wäre laut Gerhard Brand allerdings ein sehr teures Unterfangen. Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) bezweifelt auf Nachfrage, dass das für den Staatshaushalt finanzierbar wäre. Er betont, es sei erwiesen, dass es einen sehr positiven Effekt habe, wenn Eltern früh von außen – etwa in der Kita – dabei unterstützt würden, eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Das gilt insbesondere bei den Kleinsten. Der Verbandschef betont zudem, dass der Kitabesuch für die Chancengleichheit wichtig sei.

Nato Kann sich Deutschland noch auf die Sicherheitsgarantien der USA im Rahmen der Nato verlassen, wenn Donald Trump wiedergewählt werden sollte? Darüber wird gerade intensiv diskutiert. Für die AfD ist weniger Präsenz der Vereinigten Staaten ganz unabhängig vom Ex-Präsidenten Trump erstrebenswert. Laut Europawahlprogramm lehnt sie „jegliche Dominanz außereuropäischer Großmächte in der Außen- und Sicherheitspolitik“ ab. Außerdem setzt sie sich für den Abzug aller noch auf deutschem Boden stationierten US-Truppen, „insbesondere deren Atomwaffen“ ein.

„Der dominante Strang der AfD ist antiamerikanisch“, sagt Markus Kaim dieser Zeitung. Aus Sicht des Sicherheits­experten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist Deutschland aber „sicherheitspolitisch von den USA abhängig“. Deutschland sei keine militärische Großmacht mehr, betont Kaim. „Man kann sich das anders wünschen, aber in der ge­genwärtigen Situation wäre die ­Abkopplung von Amerika fahr­lässig und gefährlich für Deutschland.“

Europäische Union Die EU ist für die AfD laut Europawahlprogramm „nicht reformierbar“, Parteichefin Weidel brachte ein Referendum über einen „Dexit“ ins Spiel, also den EU-Austritt Deutschlands. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) würde dies einen Wohl­standsverlust von 400 bis 500 Milliarden Euro jährlich bedeuten.

Medien Für die AfD ist nicht das Treffen einiger ihrer Vertreter mit Rechtsextremisten in Potsdam ein Skandal, sondern die Berichterstattung darüber – die Umkehr des Skandals ist eine gut eingeübte Kommuni­kationsstrategie. Besonders ARD und ZDF, für Millionen Deutsche eine wichtige Informations­quelle, werden leidenschaftlich attackiert. Die AfD will „die Zwangsfinanzierung des öffentlichen Rundfunks“ umgehend abschaffen und in ein „Bezahlfernsehen“ umwandeln. Wäre das legal?

„Aus verfassungsrechtlicher Sicht halte ich das für zulässig“, sagt der Oldenburger Staats- und Medienrechtler Volker Boehme-Neßler. Das Bezahl-Modell, das die AfD vorschlägt, hat aus seiner Sicht „rundfunkpolitisch durchaus Charme“. Die AfD will außerdem, dass die Kontrollgremien der Rundfunkanstalten von den Zuschauern gewählt werden. „Mehr direkte Demokratie bei der Besetzung der Rundfunkräte wäre nicht nur verfassungsrechtlich zulässig, sondern rundfunkpolitisch sicher eine gute Idee“, sagt Boehme-Neßler.

Entlastungen für Gutverdiener

„Die AfD ist – anders, als sie gerne vorgibt – keine Partei für kleine Leute“, sagt Knut Bergmann vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sieht das ähnlich: Die Steuerpläne der AfD, den Solidaritätszuschlag, Vermögensabgaben und Erbschaftsteuern abzuschaffen, würde Gutverdiener entlasten, nicht jedoch Menschen ohne großes Vermögen. Warum ist die AfD bei Arbeitern dann trotzdem so erfolgreich? Der Jenaer Wirtschaftssoziologe Klaus Dörre findet, dass die AfD enorm von einer „kollektiven Abwertung“ profitiere, nach dem Motto: „Arbeiter wird nur, wer muss – und nicht studieren kann.“

Die einen sagen so, die anderen so…

OGA vom 19. Februar 2024 POLITIK

Machen Tablets dumm?

Bildung

Lange Zeit hieß es, Deutschland hinke bei der Digitalisierung der Schulen hinterher. Inzwischen warnen Experten vor den Gefahren der neuen technischen Möglichkeiten.

Von Michael Gabel

Ist Deutschland bei der Digitalisierung der Klassenzimmer „zehn Jahre zu spät“ dran, so wie es der Pisa-Papst und Bildungsforscher Andreas Schleicher sieht? Oder hat eine Gruppe von mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern recht, die den Sinn von immer mehr Tablets an den Schulen bezweifelt und einen „Stopp der Digitalisierung von Schulen und Kitas“ fordert? Ein Überblick über die wichtigsten Argumente.

Was bringt die Digitalisierung in der Schule? Laut Bildungsexperte Schleicher liegen die Vorteile auf der Hand: „Zunächst einmal bietet die Digitalisierung die Möglichkeit, Lernschwächen früh zu erkennen“, sagt der Deutschland-Verantwortliche für den Pisa-Bildungsvergleich. Zum Beispiel sei mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) bei Tests schon früh festzustellen, wo Förderbedarf bestehe. Eine Chance sieht Schleicher auch darin, in naturwissenschaftlichen Fächern am Rechner „selbst Experimente durchzuführen, die sonst kaum möglich wären“.

Auch die ständige wissenschaftliche Kommission, die die Bildungsministerien der Länder berät, betrachtet die neuen technischen Möglichkeiten grundsätzlich als Bereicherung. So könnten KI-gestützte Sprachlernprogramme etwa bei Hausaufgaben gute Dienste leisten, indem sie auch „außerhalb des regulären Unterrichtsrahmens Lehr- und Lernprozesse unterstützen“.

Beim Verband Bildung und Erziehung (VBE) betont man die Chance, Schulkinder individueller betreuen zu können. „Wir sehen jetzt schon, dass Lernprogramme Kinder ganz gezielt dabei unterstützen können, Aufgaben gleicher Struktur gut zu üben und auch andere Schwierigkeitsgrade auszuprobieren“, sagt VBE-Bundesvorsitzender Gerhard Brand.

Wie geht es mit der Digitalisierung voran? Anfangs schlecht, mittlerweile besser. Nach VBE-Angaben sind inzwischen etwa neun Zehntel aller Schulen einigermaßen gut mit Tablets, Smartboards (digitalen Tafeln) und Lernprogrammen ausgestattet. Das restliche Zehntel verfügt noch nicht über Klassensätze von Endgeräten. Darüber hinaus fehlt es vielerorts an kabellosem Internet.

Der VBE dringt auf mehr Tempo und fordert einen „gemeinsamen Kraftakt von Bund, Ländern und Kommunen, um Infrastruktur, Ausstattung und Wartung sicherzustellen“. Gemeint ist der Digitalpakt 2.0 zwischen Bund und Bundesländern. Doch die Fortsetzung des im Mai dieses Jahres auslaufenden ersten Digitalpaktes steckt wegen ungeklärter Finanzierung in der Warteschleife.

Welche Gefahren entstehen durch die Digitalisierung? Im Wesentlichen nennen Kritiker fünf Gründe, die gegen einen Schulunterricht sprechen, der überwiegend am Tablet stattfindet. Einer davon ist schlechtes Lernverhalten. Fremde Texte von der KI zusammenfassen lassen – für die ständige wissenschaftliche Kommission ist das der falsche Weg. Denn das eigene Zusammenfassen längerer Texte sei der beste Weg, „fachliches Wissen und fachliche Kompetenzen“ zu erwerben. Dies gelte vor allem für die Sachfächer und die Fremdsprachen.

Wer sich Informationen „selbstorganisiert“ aus frei zugänglichen digitalen Quellen zusammensuchen muss, statt sie einem Schulbuch zu entnehmen, verliert nach Angaben der Gesellschaft für Wissen und Bildung viel Zeit. Außerdem würden als Ausgleich die vielen Texte oft nur noch überflogen, statt in ihnen „vertiefend nach Wissen zu suchen“.

Klaus Zierer, Schulpädagogik-Professor in Augsburg und Mitunterzeichner des digitalisierungskritischen Schreibens, bezeichnet digitale Medien als „Ablenkungsherd“. Er befürchtet, dass sich Kinder und Jugendliche vorgeblich dem Schulstoff widmen, in Wahrheit aber nach Unterhaltsamem aus dem Internet Ausschau halten oder private Mitteilungen checken.

Internet-Recherche, digitale Lernaufgaben, KI – das alles kann zwar bei der Aneignung von Wissen hilfreich sein, ist aber nur ein schwacher Ersatz für die zwischenmenschliche Kommunikation, sei es mit der Lehrkraft oder den Mitschülern. Die Gesellschaft für Wissen und Bildung empfiehlt deshalb, bis zum Ende der sechsten Klasse auf die Digitalisierung des Unterrichts weitgehend zu verzichten.

Die Kritiker verweisen auf Empfehlungen aus der Medizin, wonach Kinder und Jugendliche ohnehin schon viel zu viel Zeit an den Bildschirmen verbringen. Folgen seien unter anderem: Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, gestörtes Essverhalten, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, geringes Selbstwertgefühl und sogar Depressionen.

„Pädagogik vor Technik“

Das Rad der Digitalisierung an den Schulen lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Das weiß man auch bei der Gesellschaft für Bildung und Wissen, wo betont wird: „Es geht nicht um ein Verbot der digitalen Technik.“ Nur müsse das Prinzip gelten: „Pädagogik vor Technik.“ Digitalisierungsbefürworter sehen das im Prinzip nicht anders. Pisa-Experte Andreas Schleicher rückt die Chancen für Lehrkräfte in den Vordergrund. „Die Rolle der Lehrkraft verschiebt sich – weg vom Wissensvermittler, hin zum Mentor, der Lernprozesse ermöglicht und steuert.“ Schleichers Ausblick: Wenn die Technologie die Routinearbeit übernimmt, bekommen Lehrkräfte „Raum für das Wesentliche: die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten, Einstellungen und Werten“.mg

Wenn man den dafür nötigen Intellekt besitzt…. einige Gedanken zur AfD

OGA vom 13. Februar 2024 POLITIK

„Der Osten muss es aus sich selbst heraus schaffen“

Jessy Wellmer

In den neuen Bundesländern rebellierten viele Menschen gegen die vermeintliche moralische Überlegenheit des Westens, sagt die Journalistin, die selbst ein Kind der Wiedervereinigung ist. Wohin dieser Trotz führt und wie die AfD davon profitiert.

Von Philipp Hedemann

Ein Wintervormittag in einem Jugendstil-Haus in Berlin-Charlottenburg. Ursprünglich ein Varieté-Theater, während des Dritten Reiches ein Bordell, beherbergt das herrschaftlichte Gebäude seit den 70ern ein Café. Jessy Wellmer betritt den Laden gutgelaunt mit ihrem Hund, der Pudelmischlingsdame Juni. Ein Herr am Nebentisch erkennt die „Tagesthemen“-Moderatorin und sagt: „Ich möchte nicht stören. Ich wollte Ihnen nur kurz sagen, dass ich Ihre Reportagen über Ostdeutschland wirklich gut fand.“ Jessy Wellmer, die gerade ein neues Buch über das Auseinanderdriften von Ost und West veröffentlicht hat, freut sich über das Kompliment. Sie bestellt einen Pfefferminztee mit Honig, Juni legt sich zu ihren Füßen unter den Tisch.

Frau Wellmer, wie hoch ist die Mauer in den Köpfen fast 35 Jahre nach der Wende noch?

Viele Menschen im Osten empfinden die Haltung des Westens gegenüber Russland als Siegermentalität.

Leider viel höher, als ich es mein jugendliches Leben lang für möglich gehalten hatte. Ich hatte mich von dem Thema persönlich eigentlich schon verabschiedet. Aber seit den Krisen der letzten Jahre – also der Flüchtlingskrise, Corona und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine – wächst die Mauer wieder. Natürlich war auch vorher nicht alles in Ordnung, aber es ist jetzt etwas aufgebrochen, was längst verheilt schien. Wir sind nicht mehr auf dem Weg zusammenzuwachsen, sondern wir entfernen uns wieder voneinander. Das macht mir Sorgen.

Sie haben Gründe für die von Ihnen beobachtete Entfremdung angesprochen. Lassen Sie uns darüber näher sprechen. Welche Rolle hat Corona gespielt?

Corona breitete sich ja zunächst vor allem im Westen der Republik aus. Viele Menschen im Osten, auch Verantwortliche in den Landesregierungen, vertraten deshalb die Meinung: „Wir haben mit dieser Krankheit nichts zu tun.“ Das war falsch. Am Ende waren die Todeszahlen schließlich in fast allen ostdeutschen Bundesländern höher als im Westen. Die Beschränkungen haben aber viele im Osten so empfunden, als solle ihnen etwas von oben – und vom Westen – aufgedrückt werden. Das führte zu Gegenwehr und auch zu Trotzreaktionen.

Und warum lässt der Krieg in der Ukraine die Mauer in den Köpfen wieder höher werden?

Viele Menschen im Osten empfinden die Haltung des Westens gegenüber Russland als Siegermentalität. Sie haben den Eindruck, der Westen fühle sich moralisch überlegen, stehe auf der richtigen Seite und wolle nach eigener Überzeugung das Richtige. Putin und die Russen seien hingegen böse, weil sie die Ukraine angegriffen haben, die Ukrainer sind die Guten. Viele empfinden das als ein westliches Gut-Böse-Schema – wie aus einem James-Bond-Film. Sie haben das Gefühl, dass der Westen dem Osten sagen will, was er zu denken hat. Deswegen solidarisieren sie sich mit den Russen. Und manche rechtfertigen sogar Putins Angriffskrieg.

Wut auf den Westen als Rechtfertigung für einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg?

Ich finde das falsch. Aber ich glaube schon, dass da bei vielen, die Putins Verantwortung für diesen Völkerrechtsbruch und den mörderischen Krieg relativieren, andere Erfahrungen reinspielen. Ich glaube, dass viele Menschen im Osten das Gefühl der moralischen Überlegenheit des Westens als persönlichen Angriff auf ihre eigene Identität sehen – ähnlich wie das vor 20 oder 30 Jahren war. Und wieder geraten sie in den alten Rechtfertigungszwang, weil der Westen schon einmal ihr Leben als falsch betrachtet und beurteilt hat. Ich erlebe oft, dass dabei auch Dinge gerechtfertigt werden, die eigentlich nicht zu rechtfertigen sind.

Womit wir bei der dritten Ursache wären: den Flüchtlingen.

Es gibt auch im Osten eine große Hilfsbereitschaft, ehrenamtliches Engagement für Geflüchtete, Menschen, die Syrer oder Ukrainer bei sich aufgenommen, ihnen geholfen oder Sprachunterricht gegeben haben. Ich beobachte aber, was auch Soziologen beschreiben, dass sich viele Ostdeutsche selbst als Angehörige einer benachteiligten Minderheit empfinden. Das kann zu einer Art Konkurrenzbewusstsein führen und manchmal zu der Fehlwahrnehmung, Geflüchteten oder Asylbewerbern werde größere Zuwendung entgegengebracht als „unseren Menschen“. Geflüchtete erfahren so vielfach weniger Solidarität und Empathie. Populisten haben auf die Ängste der Menschen eine einfache Antwort: „Die müssen alle weg!“ „Remigration!“ Der Rechtspopulismus verfängt, wie wir wissen, auch im Westen, aber er fällt im Osten oft auf besonders nahrhaften Boden.

Im September finden in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Landtagswahlen statt. Die AfD könnte stark abschneiden. Welche Rolle spielt sie bei der neuen Entfremdung zwischen Ost und West?

Populisten nutzen sie aus. Das gilt nicht nur für Rechtspopulisten. Die Populisten wissen, dass viele Menschen im Osten von den Umbrüchen und Lebensbrüchen nach dem Ende der DDR erschöpft und müde sind. Sie versprechen, das große Rad einfach wieder zurückzudrehen: Klimaschutz, Diversität, Flüchtlinge – brauchen wir alles nicht. Wir wollen nur dafür sorgen, dass ihr den Wohlstand, den ihr euch seit den 90er-Jahren erarbeitet und das Häuschen, das ihr euch gebaut habt, behalten könnt. Sie versprechen den Menschen, dafür zu sorgen, dass ihnen keine weiteren Anstrengungen zugemutet werden.

Macht der Populismus Ihnen Angst?

Diese scheinbar einfachen Lösungen sind in der Regel verbunden mit dem Abbau von Freiheit, Vielfalt und Demokratie. Es geht ja immer darum, demokratische Institutionen, die Unabhängigkeit der Justiz oder die der Medien zu beschädigen und zu beschränken. Viele Ostdeutsche haben nach 1990 Enttäuschungen erfahren, sie haben ihr Leben in der Demokratie nicht nur als Fortschritt erlebt. Und so gibt es leider bei vielen eine Skepsis gegenüber demokratischen Institutionen. Ich finde den Gedanken, dass ich mit neun Jahren in eine Demokratie hineingehen konnte, dort alle Möglichkeiten hatte und dass dies jetzt, wo ich Mitte 40 bin, wieder vorbei sein könnte, wirklich schwer erträglich. Ich bin überzeugt, dass es den meisten Leuten im Osten genauso geht. Darum sollten sich alle, die aus einem Gefühl der Demütigung oder des Trotzes heraus handeln, bewusst machen, welchen Preis sie persönlich und wir alle dafür möglicherweise zahlen müssen.

In einer geleakten Nachricht schrieb der gebürtige Bonner und mächtige Vorstandsvorsitzende des Springer-Verlags Mathias Döpfner: „Die Ossis sind entweder Kommunisten oder Faschisten. Dazwischen tun sie es nicht. Eklig.“ Eine radikale Einzelmeinung oder gängiges Vorurteil in Westdeutschland?

Ich fürchte, dass dies im Westen ein ziemlich verbreitetes Vorurteil ist. Wenn man nachts allein in seiner Wohnung sitzt und über eine Gruppe von Menschen spricht, von der man offenbar keine Ahnung hat, rutscht einem ein solches Pauschalurteil vielleicht schon mal raus.

Wollen Sie Döpfners vernichtende Pauschalkritik relativieren und entschuldigen?

Nein. Und ich weiß, dass sie vor allem im Westen zu Recht für Empörung gesorgt hat. Ich glaube, im Osten hatte dieses Zitat nicht so einen großen Effekt, weil es viele nur in dem bestätigt hat, was sie ohnehin schon über Westdeutsche zu wissen meinten: Nämlich, dass die Wessis uns immer noch für dumm und zurückgeblieben halten. So hat ein Vorurteil ein anderes zementiert.

Dass die Zustimmungswerte für die Demokratie in Ostdeutschland geringer sind, ist allerdings nicht nur ein Vorurteil, sondern ein durch repräsentative Umfragen erwiesener Fakt. Woran liegt das?

Ich muss hier vielleicht nochmal sagen, dass sehr viele nach der Wiedervereinigung positive Erfahrungen gemacht und die Freiheit für sich und ihre Kinder genutzt haben. Und die große Mehrheit der Menschen im Osten lehnt ja die Demokratie keineswegs ab. Aber viele haben nach 1990 auch schlechte Erfahrungen gemacht – Umbruch, Jobverlust, das Gefühl der Demütigung und Zweitklassigkeit, Enttäuschung. Das Besondere am Osten ist, dass sich viele auf eine Erklärung für ihren Frust einigen können: Der Westen ist schuld. Und mit ihm sein „System“ und seine Institutionen. Und natürlich gibt es auch die, für die die Idee des Sozialismus weiterhin durchaus erstrebenswert ist, auch wenn sie unter Führung der alten weißen Männer um Erich Honecker nicht die beste Umsetzung gefunden habe.

Sie schreiben, dass viele Ostdeutsche sich eine Entschuldigung Westdeutschlands für erlebte Demütigungen und Verletzungen wünschen. Wird es die geben?

Nein. Es wäre ja auch unklar, wer sich da genau bei wem wofür entschuldigen sollte. Es geht höchstens um Anerkennung – dass vieles schwierig war, manches schmerzhaft, dass es Dinge gibt, die nicht gut gelaufen sind, die man besser hätte machen können. Aber ebensowenig wie jeder Ossi ein Opfer der Wiedervereinigung ist, ist jeder Wessi ein böser Mensch, der die armen Ostbürger unterjochen wollte. Das ist ja alles Blödsinn. Ich glaube, es wäre weiterhin gut, miteinander über die Erfahrungen zu sprechen – auch wenn sich die Westdeutschen dafür eigentlich nicht mehr interessieren. Ich schreibe in meinem Buch, dass der Osten es aus sich selbst heraus schaffen muss. Der Westen wird sich kaum bewegen, er wird Aufarbeitung und Selbstheilung aber auch nicht verhindern.

Sie führen seit fast 25 Jahren ein sehr westdeutsches Leben. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Sie mit Ihren Vermittlungsversuchen genau das Gegenteil von dem erreichen, was Sie eigentlich wollen und im Osten zur Reizfigur werden?

Ich führe kein „westdeutsches Leben“. Ich bin in der DDR geboren und durch meine Eltern und ihre Generation eng mit diesem Land verknüpft. Ich bin also ostdeutsch. Aber ich kann ostdeutsch sein, ohne mich über die Abgrenzung zum Westen zu definieren. Ich lebe in der früher geteilten Stadt Berlin, meine Eltern leben in Güstrow, meine Kinder verbringen ihre Ferien dort, ich arbeite in Hamburg – ich lebe im wiedervereinigten Deutschland. Und ich habe in meinem Buch geschrieben, dass ich Kind dieses wiedervereinigten Landes bin – nicht eine Ostdeutsche, die sich in den Westen geschmuggelt hat. Aber tatsächlich wird mir genau das manchmal vorgeworfen. Manche – vor allem Ältere – können genau diese Perspektive nicht anerkennen und glauben, sie könnten mir erklären, wie ich mein Leben zu führen hätte. Mir ist klar, dass ich mit meinen Thesen im Osten auch polarisiere und nicht alle im Osten mich toll finden, bloß weil ich von dort komme.

Der Osten mag Sie also nicht?

Es gibt ja nicht den Osten. Das ist ja eines der Hauptthemen des Buches. Es gibt Millionen unterschiedlicher Erzählungen über ein Leben in der DDR und darüber, was die Vergangenheit mit dem Jetzt zu tun hat. Es gibt einen großen Streit über die Deutungshoheit. Ich werde von Ostdeutschen kritisiert, und ich bekomme von Ostdeutschen sehr viel Zuspruch und Bestätigung.

Sie sind jetzt 44 Jahre alt. Glauben Sie, dass Sie das Verschwinden der Mauer in den Köpfen noch erleben werden?

Ich sehe, dass das Thema für meine Kinder schon jetzt keine Rolle mehr spielt. Ich glaube, wir Mittvierziger können helfen, die Mauer in den Köpfen noch zu unseren Lebzeiten verschwinden zu lassen. Ich versuche, meinen Beitrag zu leisten, aber ich kann nicht garantieren, dass es klappt.

„Tagesthemen“-Frontfrau

Jessy Wellmer (44), in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern geboren, war neun Jahre alt, als die Mauer fiel. Nach Studium und Journalistenschule moderierte sie viele Sportsendungen wie  die ARD-„Sportschau“ und berichtete im Zuge dessen  von Olympischen Spielen sowie Welt- und Europameisterschaften im Fußball. Seit Ende Oktober 2023 moderiert sie die ARD-„Tagesthemen“. Daneben dreht Wellmer Reportagen zur Verständigung zwischen Ost- und West-Deutschland. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in West-Berlin. Ihr neues Buch heißt: „Die neue Entfremdung. Warum Ost- und Westdeutschland auseinanderdriften und was wir dagegen tun können“.

So sieht der innerparteiliche Umgang der CDU in Brandenburg mit der „Causa Bommert“ aus…

Skandal um Frank Bommert: Mitglieder von CDU-Oberhavel verharmlosen Verhalten von Kreis-Chef

Im Skandal um Landespolitiker Frank Bommert wird der CDU Oberhavel das große Schweigen vorgeworfen. Jetzt äußern sich einige Politiker erstmals. Zudem gibt es eine neue Rücktrittsforderung.

MAZ vom 02. Februar 2024, 06:00 Uhr

Oranienburg

Ein Artikel von

Marco Winkler

Im Skandal um einen geschmacklosen Whatsapp-Post und eine Lüge von CDU-Landespolitiker Frank Bommert wird der CDU Oberhavel vorgeworfen, zu dem Thema zu schweigen. Jetzt äußern sich auf Nachfrage einige Politiker zum Verhalten ihres Kreisvorsitzenden. Zudem gibt es eine weitere Rücktrittsforderung für den Sommerfelder.

Schon am Montag (29.1.) hatten die Jusos Oberhavel den Vize-Landesvorsitzenden der CDU Brandenburg und Vorsitzenden der CDU Oberhavel aufgefordert, aus allen Funktionen und Mandaten zurückzutreten. Nur ein Rücktritt könne „den entstandenen Schaden am Vertrauen in unsere Demokratie und ihre Akteure noch minimieren“, hieß es. Am Donnerstag (1.2.) schloss sich der Kreisverband der Linken der Forderung an.

Politiker per Whatsapp-Post den Tod gewünscht

Bommert greife „immer wieder bewusst Narrative der Rechten“ auf, heißt es in der Pressemitteilung. „Anderen Menschen via WhatsApp-Status den Tod zu wünschen, zeigt eindeutig, dass nun auch Sprache und Methodik aus der ganz rechten Ecke ihren Weg in Bommerts Äußerungen gefunden haben.“ Das Landespräsidium der CDU sprach Bommert einen Verweis aus.

„Für uns ist Bommert schon längst kein Ansprechpartner unter Demokraten mehr, wir hoffen jedoch sehr, dass die CDU Oberhavel ihren Weg zurück in die Reihe der Demokraten findet“, so die Kreisvorsitzenden Enrico Geißler und Patricia Usée. „Ein Kreistagskollege, der auf offener Bühne lügt, schadet dem Ansehen des gesamten Kreistages“, so Linken-Mitglied Ralf Wunderlich. Weiter heißt es in ihrer Mitteilung: „Die Zeit des Wegsehens bei den Eskapaden des Vorsitzenden muss ein Ende haben.“

Genau das ist der Vorwurf, mit dem sich die CDU derzeit konfrontiert sieht. Besonders, nachdem sich die CDU-Landtagsabgeordnete und Stadtverordnete Nicole Walter-Mundt nicht zu dem Fall äußern oder positionieren wollte. Spielt der geschmacklose Beitrag von Frank Bommert keine Rolle in der CDU Oberhavel?

Andreas Hirtzel, Vorsitzender vom Amtsverband Gransee, sagt auf Nachfrage, die CDU beschäftige sich mit dem Thema. „Es ist allerdings eine persönliche Sache, die nur Frank Bommert betrifft und nicht gesamte CDU.“ Er wolle Bommert erst Gelegenheit geben, sich offiziell intern zu äußern.

Unruhe und Verständnis in der CDU Oberhavel

Jan Alexy, Vorsitzender vom Stadtverband Hohen Neuendorf, setzt ebenfalls auf eine interne Aufklärung. „Es gibt viel Unruhe unter den Mitgliedern, das Thema wird kontrovers diskutiert“, sagt er. Der Stadtverband will am Montag (5.2.) beraten und seine Ergebnisse Richtung Kreisvorstand weiterleiten. „Wir werden deutlich Stellung beziehen“, sagt Alexy. Allerdings vorerst nur intern. „Dort gehört es hin, wir wollen keine emotionale Debatte in der Öffentlichkeit führen.“

Frank Stege, Gransees CDU-Amtsdirektor, betont auf Nachfrage: „Zuerst kann ich die Kritik an der Politik der Ampel, die Frank Bommert und Hunderttausende auf die Straße treibt, sehr gut nachvollziehen.“ Dass Bommert eine Grenze überschritten hat, „sieht er ja selber ein“. Bommert entschuldigte sich und will den Vorsitz des Wirtschaftsausschusses im Landtag niederlegen. Diese Konsequenz hält Frank Stege für richtig. „Ich gehe davon aus, dass sich die Kreis-CDU analog zur Landespartei noch damit befassen wird.“

Hans-Jörg Pötsch vom CDU-Stadtverband Velten sieht die Zuständigkeit beim Landesverband. „Er wird sich sicherlich noch gegenüber den Mitgliedern äußern“, sagt er. „Dann können wir immer noch sagen, ob die Konsequenzen ausreichen. Wir schweigen jedenfalls nichts tot.“ Pötsch sagt, heutzutage müsse jeder seine Worte mit Bedacht wählen. „Manchmal ist der Gedanke schneller raus, als das Gehirn reagieren kann.“

Bechert nimmt Bommert in Schutz

CDU-Kreistagsmitglied Olaf Bechert informiert, dass Frank Bommert Thema auf der nächsten Vorstandssitzung der Kreis-CDU sein wird. „Es gibt Redebedarf.“ Er habe sich gefragt, warum Bommert diesen Post mit Todesfantasien veröffentlichte. Seine Antwort: „Er ist mit der Ampelpolitik unzufrieden. Unzufriedenheit drücken die Leute unterschiedlich aus.“ Einige würden demonstrieren, „andere machen Witze“. Bechert räumt ein, dass der vermeintliche Witz zu weit ging. „Das hat er erkannt und diesen schlechten Witz schnell wieder selbst entfernt und damit zurückgenommen.“

Bommert behauptete anschließend, ein Familienmitglied sei für die Geschmacklosigkeit verantwortlich gewesen. Eine Lüge, die er Tage später zugab. Warum hat er gelogen? „Auch hier klare Antwort: Weil er wusste, was in der aufgeheizten medialen Stimmung mit Politikern, die auch nur irgendwie heutzutage im bürgerlich-rechten Spektrum unserer Gesellschaft stehen, geschehen wird.“ Lügen sei „grundsätzlich Mist“. Aber: Bommert sei wiederholt zum Kreisvorsitzenden gewählt worden, „weil er so ist, wie er ist“, so Bechert, auch wenn er sich „mitunter forsch“ zeige.

Ist das der neue Umgang mit Migranten?

Wer von Euch, liebe Leser, würde sich so etwas gefallen lassen?

Oder gibt es seit diesem Jahr auch für alle anderen kein Bargeld mehr – dafür aber eine Geldkarte mit Einschränkungen?

OGA vom 03. Februar 2024 ORANIENBURG

Erster Landkreis führt Bezahlkarte im Alleingang ein

Migration

Märkisch-Oderland will das Zahlungssystem für Asylbewerber durchsetzen. Ursprünglich geplant war eine bundesweite Einführung. 

Von Ulrich Thiessen

Der Landkreis Märkisch-Oderland will schneller als vereinbart eine Bezahlkarte für Asylbewerber einführen. Ursprünglich hatte sich die Ministerpräsidentenkonferenz darauf geeinigt, dass die Einführung der Karte bundesweit erfolgen soll. Das dauert dem Landkreis aber offenbar zu lange. Sozialdezernent Friedemann Hanke (CDU) erklärte gegenüber dieser Zeitung, dass die Ausschreibung auf den Weg gebracht wurde. Eine Sondierung ergab, dass es mehrere entsprechende Dienstleister gibt. Er rechnet mit jährlichen Kosten von 24.000 bis 28.000 Euro. Der Landkreis geht davon aus, dass die Karten schrittweise zum 1. April oder 1. Mai eingeführt werden können. Insgesamt wären bis zu 1000 Einzelpersonen oder Familien (Bedarfsgemeinschaften) betroffen.

Hanke betont, dass die Umstellung für seinen Kreis einfacher ist als in allen anderen Gebietskörperschaften. In Märkisch-Oderland wurden als einzigem Landkreis bislang Schecks ausgegeben, die dann bei Banken eingelöst werden müssen. Für die Mitarbeiter wäre die Umstellung laut Hanke eine Entlastung.

Der Sozialdezernent weist darauf hin, dass mit den Karten gewährleistet wird, dass die Berechtigten einmal im Monat in den Behörden erscheinen müssen. Dort soll dann statt der Scheckausgabe die jeweilige Karte aufgeladen werden. Ausgeschlossen sein wird, dass mit der Karte Überweisungen getätigt werden. Auch die Nutzung in Spielhallen sei nicht möglich. Hanke betont, dass die Höhe des Geldes, das bar abgehoben werden kann, gesetzlich geregelt ist und für Einzelpersonen 182 Euro im Monat beträgt. Missbrauch durch den Kauf und Weiterverkauf von Waren sei jedoch nie ganz auszuschließen, räumte der Christdemokrat ein, das habe es auch beim früheren Sachleistungsprinzip gegeben.

Das brandenburgische Sozialministerium erklärte auf Nachfrage, dass ihm keine Verfahren zur Einführung einer Bezahlkarte bekannt seien. Ein Sprecher betonte jedoch, dass die Einführung möglich sei.

Die CDU Oberhavel und der Umgang mit dem Skandal ihres Vorsitzenden

OGA vom 03. Februar 2024 OBERHAVEL

Zurückhaltende Worte zum Kreischef

Personalie

Im Skandal um ihren Vorsitzenden Frank Bommert wird der CDU Oberhavel Schweigen vorgeworfen. Jetzt äußern sich einige Politiker erstmals. Zudem gibt es eine neue Rücktrittsforderung.

Von Marco Winkler

Im Skandal um einen geschmacklosen Whatsapp-Post und eine Lüge von CDU-Landespolitiker Frank Bommert wird der CDU Oberhavel vorgeworfen, zu dem Thema zu schweigen. Jetzt äußern sich auf Nachfrage einige Politiker zum Verhalten ihres Kreisvorsitzenden. Zudem gibt es eine weitere Rücktrittsforderung an den Sommerfelder.

Schon am Montag hatten die Jusos Oberhavel den Vize-Landesvorsitzenden der CDU und Vorsitzenden der CDU Oberhavel aufgefordert, aus allen Funktionen und Mandaten zurückzutreten. Nur ein Rücktritt könne „den entstandenen Schaden am Vertrauen in unsere Demokratie und ihre Akteure noch minimieren“, hieß es. Am Donnerstag schloss sich der Kreisverband der Linken der Forderung an.

Unzufriedenheit drücken die Leute unterschiedlich aus.

Olaf Bechert (CDU) Kreistagsmitglied

Politikern den Tod gewünscht

Bommert greife „immer wieder bewusst Narrative der Rechten“ auf, heißt es in der Pressemitteilung. „Anderen Menschen via WhatsApp-Status den Tod zu wünschen, zeigt eindeutig, dass nun auch Sprache und Methodik aus der ganz rechten Ecke ihren Weg in Bommerts Äußerungen gefunden haben.“ Das Landespräsidium der CDU sprach Bommert einen Verweis aus.

„Für uns ist Bommert schon längst kein Ansprechpartner unter Demokraten mehr, wir hoffen jedoch sehr, dass die CDU Oberhavel ihren Weg zurück in die Reihe der Demokraten findet“, so die Kreisvorsitzenden Enrico Geißler und Patricia Usée. „Ein Kreistagskollege, der auf offener Bühne lügt, schadet dem Ansehen des gesamten Kreistages“, so Linken-Mitglied Ralf Wunderlich. Weiter heißt es in ihrer Mitteilung: „Die Zeit des Wegsehens bei den Eskapaden des Vorsitzenden muss ein Ende haben.“

Genau das ist der Vorwurf, mit dem sich die CDU derzeit konfrontiert sieht. Besonders, nachdem sich die CDU-Landtagsabgeordnete und Stadtverordnete Nicole Walter-Mundt nicht zu dem Fall äußern oder positionieren wollte. Spielt der geschmacklose Beitrag von Frank Bommert keine Rolle in der CDU Oberhavel?

Andreas Hirtzel, Vorsitzender vom Amtsverband Gransee, sagt auf Nachfrage, die CDU beschäftige sich mit dem Thema. „Es ist allerdings eine persönliche Sache, die nur Frank Bommert betrifft und nicht gesamte CDU.“ Er wolle Bommert erst Gelegenheit geben, sich intern zu äußern.

Jan Alexy, Vorsitzender vom Stadtverband Hohen Neuendorf, setzt ebenfalls auf eine interne Aufklärung. „Es gibt viel Unruhe unter den Mitgliedern, das Thema wird kontrovers diskutiert“, sagt er. Der Stadtverband will am Montag beraten und seine Ergebnisse Richtung Kreisvorstand weiterleiten. „Wir werden deutlich Stellung beziehen“, sagt Alexy. Allerdings vorerst nur intern. „Dort gehört es hin, wir wollen keine emotionale Debatte in der Öffentlichkeit führen.“

Frank Stege, Gransees Amtsdirektor und ebenfalls CDU-Mitglied, betont auf Nachfrage: „Zuerst kann ich die Kritik an der Politik der Ampel, die Frank Bommert und Hunderttausende auf die Straße treibt, sehr gut nachvollziehen.“ Dass Bommert eine Grenze überschritten hat, „sieht er ja selber ein“. Bommert entschuldigte sich und will den Vorsitz des Wirtschaftsausschusses im Landtag niederlegen. Diese Konsequenz hält Stege für richtig. „Ich gehe davon aus, dass sich die Kreis-CDU analog zur Landespartei damit befassen wird.“

Hans-Jörg Pötsch vom CDU-Stadtverband Velten sieht die Zuständigkeit beim Landesverband. „Er wird sich sicherlich noch gegenüber den Mitgliedern äußern“, sagt er. „Dann können wir immer noch sagen, ob die Konsequenzen ausreichen. Wir schweigen jedenfalls nichts tot.“ Pötsch sagt, heutzutage müsse jeder seine Worte mit Bedacht wählen. „Manchmal ist der Gedanke schneller raus, als das Gehirn reagieren kann.“

Bommert in Schutz genommen

CDU-Kreistagsmitglied Olaf Bechert informiert, dass Frank Bommert Thema auf der nächsten Vorstandssitzung der Kreis-CDU sein wird. „Es gibt Redebedarf.“ Er habe sich gefragt, warum Bommert diesen Post mit Todesfantasien veröffentlichte. Seine Antwort: „Er ist mit der Ampelpolitik unzufrieden. Unzufriedenheit drücken die Leute unterschiedlich aus.“ Einige würden demonstrieren, „andere machen Witze“. Bechert räumt ein, dass der vermeintliche Witz zu weit ging. „Das hat er erkannt und diesen schlechten Witz schnell wieder selbst entfernt und damit zurückgenommen.“ Bommert behauptete, ein Familienmitglied sei für die Geschmacklosigkeit verantwortlich gewesen. Eine Lüge, die er Tage später zugab. Warum hat er gelogen? „Auch hier klare Antwort: Weil er wusste, was in der aufgeheizten medialen Stimmung mit Politikern, die auch nur irgendwie heutzutage im bürgerlich-rechten Spektrum unserer Gesellschaft stehen, geschehen wird.“ Lügen sei „grundsätzlich Mist“. Aber: Bommert sei wiederholt zum Kreisvorsitzenden gewählt worden, „weil er so ist, wie er ist“, so Bechert, auch wenn er sich „mitunter forsch“ zeige.

#noafd – ein Fall für den Verfassungsschutz

OGA vom 02. Februar 2024 ORANIENBURG

Verfassungsschutz prüft AfD-Aussagen

Brandenburg

Abgeordneter schockiert mit Aussagen über Abschaffung von Parteien.

Von dpa

Potsdam. Brandenburgs Verfassungsschutz hat sich wegen Äußerungen des AfD-Landtagsabgeordneten Lars Hünich zum „Parteienstaat“ eingeschaltet. Hünich hatte bei einer AfD-Veranstaltung in Falkensee (Havelland) gesagt: „Wenn wir morgen Regierungsverantwortung haben, dann muss ein Großteil von den Leuten, die hier sind, wieder nach Hause. Wenn wir morgen in einer Regierungsverantwortung sind, dann müssen wir diesen Parteienstaat abschaffen.“  Das ZDF hatte in einem „Länderspiegel“-Bericht am 27. Januar die Aussagen Hünichs ausgestrahlt.

Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) und Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) verurteilten die Äußerung scharf. Der Verfassungsschutz sprach von einem Angriff auf die freiheitlich demokratische Grundordnung. Die AfD wies den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit zurück und sprach unter anderem von einer Hetzkampagne.

Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes fordert der AfD-Abgeordnete die Abschaffung von demokratisch legitimierten Parteien. Eine solche Forderung sei ein klarer Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung, teilte das Innenministerium mit. In der Einschätzung der Behörde hieß es: „Erst wird ganz offen die Demokratie infrage gestellt, der Applaus der Anhänger mitgenommen und dann der eigene Vorstoß verharmlost und mit Nebelkerzen versehen.“